Am Arbeitsplatz

"Learning by doing" wird mit EPSS Wirklichkeit

Jens ReisdorfSaarbrücken, Juli 2015 - Wo komplexe Prozesse und der Umgang mit einer Vielzahl von Softwareprogrammen zum Tagesgeschäft gehören, braucht es effektive Lösungen, um Mitarbeiter direkt am Arbeitsplatz zu unterstützen. Durch den Einsatz eines Electronic Performance Support Systems (EPSS) soll prozessorientierte Weiterbildung "on the job" nun möglich werden. Jens Reisdorf, Sales Consultant bei der IMC AG, verrät im Experteninterview Wissenswertes über einen noch jungen Weiterbildungstrend.

Herr Reisdorf, was verbirgt sich hinter der Abkürzung EPSS?

Jens Reisdorf: EPSS steht für Electronic Performance Support System. Gemeint sind damit Softwarelösungen, die in der Lage sind, Anwender direkt am Arbeitsplatz bei der Durchführung komplexer Prozesse zu unterstützen. Im Idealfall bieten diese Systeme ganz ähnliche Hilfestellungen wie erfahrene Kollegen, die im Hinblick auf ein akutes Problem Lösungswege aufzeigen oder komplexe Prozesse anschaulich erklären können.

Leider fehlt den kompetenten Kollegen aber oft die Zeit, um neuen oder weniger erfahrenen Mitarbeitern auf Zuruf mit ihrem Rat zur Seite zu stehen. Doch gerade bei Prozessänderungen oder bei Aufgaben, die nur selten zu erledigen sind, sind Mitarbeiter oft auf Hilfe angewiesen. Denken Sie zum Beispiel an den Fall, wenn ein Mitarbeiter während seines Urlaubs oder im Krankheitsfall durch einen Kollegen vertreten werden muss. Da der Stellvertreter die Arbeitsabläufe des abwesenden Kollegen oft nicht kennt, ist er beim Erlernen der neuen Aufgaben auf effektive Unterstützung angewiesen, auf die er direkt zugreifen kann.

Ein EPSS hilft hier weiter, indem es genau dann kontextsensitive Hilfe bietet, wenn ein Mitarbeiter bei einer bestimmten Aufgabe nicht mehr weiter weiß. Mit dem Begriff "kontextsensitiv" ist gemeint, dass das System erkennt, welchen Prozess der Mitarbeiter gerade durchläuft beziehungsweise wo im System er sich gerade befindet und ihn gezielt mit dem nötigen Wissen versorgt.

Der Nutzer erfährt also genau das, was er gerade braucht, aber nicht mehr als das, was er für seine aktuelle Tätigkeit benötigt. Auf diese Weise werden dem Nutzer immer wieder kleine Wissenshäppchen angeboten, die dieser sofort praktisch anwenden kann. Es findet also im wahrsten Sinne des Wortes ein "Learning by doing" statt.

Eine weitere wesentliche Eigenschaft von EPS-Systemen ist, dass sie softwareunabhängig und applikationsübergreifend funktionieren und mit Programmen wie SAP, ERP, MS Office, Salesforce, MS Dynamics und Webanwendungen gleichermaßen kompatibel sind.

Das klingt nach einer echten Entlastung für Kollegen und Vorgesetzte beim Erklären komplexer Prozesse. Doch was ist Ihrer Meinung nach der Grund dafür, weshalb vor allem die Mitarbeiter selbst durch die Nutzung eines EPSS produktiver arbeiten?

Jens Reisdorf: Der große Mehrwert von EPSS-Systemen liegt darin, dass sie in der Lage sind, jeden Mitarbeiter dort abzuholen, wo sich Wissenslücken für seine Tätigkeit auftun und komplexe Arbeitsabläufe kleinschrittig abbilden. Der Mitarbeiter kann genau dann Hilfe anfordern, wenn er sie braucht und hat die Möglichkeit, das Dazugelernte sofort umzusetzen. Er erwirbt also neues Wissen und arbeitet zur selben Zeit produktiv, da er dieses unmittelbar anwendet.

Die im EPSS hinterlegten und jederzeit abrufbaren Informationen kann er so oft er möchte wie in einem Nachschlagewerk einsehen und besonders bei selten durchgeführten Aufgaben bequem als Gedankenstütze nutzen. Dadurch entfällt das Nachfragen bei Kollegen, die oft mit ihren eigenen Aufgaben alle Hände voll zu tun haben oder lästige Anfragen beim Support.

Ein zusätzlicher Vorteil liegt in der unkomplizierten Aktualisierbarkeit eines solchen digitalen Nachschlagewerks, das sich bei Prozessänderungen bereits durch kleinere Änderungen an den Einträgen ohne großen Aufwand auf den neusten Stand bringen lässt. Unternehmen sparen durch den Einsatz von EPSS Geld und Ressourcen, da durch die direkte Prozessunterstützung am Arbeitsplatz so manche Präsenzschulung überflüssig wird.

Welche typischen Anwendungsszenarien fallen Ihnen ein, wenn Sie an den Einsatz von EPSS in der Unternehmenspraxis denken?

Jens Reisdorf: Da gibt es zahlreiche Möglichkeiten. Spontan fallen mir vor allem umfangreiche Prozesse ein, die in dieser Form nur in einem bestimmten Unternehmen durchlaufen werden. Denkbar ist jedoch auch, EPS-Systeme beim Onboarding eines neuen Mitarbeiters unterstützend einzusetzen, sodass dieser seine Kompetenzen im Hinblick auf Prozesse und Software, die er noch nicht kennt, Schritt für Schritt erweitern kann.

Auch häufig gestellte Fragen, wie beispielsweise "Wie fülle ich meinen Urlaubsantrag richtig aus?" lassen sich gut als Leitfäden oder gesonderte Lexikoneinträge festhalten. Sobald sie einmal erstellt sind, dienen sie als verlässliche Informationsquelle für jeden Mitarbeiter, auch für die, die schon länger im Unternehmen sind.

Für den Nutzer genügt es, ein aussagekräftiges Stichwort wie beispielsweise "Urlaub" in der entsprechenden Suchmaske im System einzugeben und schon erscheint der entsprechende Leitfaden. Außerdem lässt sich mithilfe von EPSS das Einhalten von Compliance-Richtlinien unterstützen beziehungsweise sicherstellen. Das kann zum Beispiel geschehen, indem direkt in einem bestimmten Dokument oder auf der Nutzeroberfläche eines Programmes Hinweisfelder eingebaut werden, die anzeigen, ob die eben durchgeführte Aktion des Nutzers den allgemein geltenden beziehungsweise unternehmensspezifischen Compliance-Richtlinien entspricht oder nicht.

Was sind die Vorteile von EPSS gegenüber klassischen Softwaretrainings?

Jens Reisdorf: Der wesentliche Vorteil gegenüber herkömmlichen Lernformaten wie beispielsweise Präsenzschulungen liegt darin, dass EPSS kein überflüssiges Wissen vermitteln. Werden zu große Wissenseinheiten ohne direkten Anwendungsbezug am Stück vermittelt, besteht die Gefahr, dass der Kursteilnehmer das meiste davon schnell wieder vergisst, ehe er es überhaupt bei der Arbeit anwenden kann.

Ein weiteres Problem liegt bei Präsenzveranstaltungen darin, dass allen Teilnehmern gleich viel Wissen in derselben Ausführlichkeit vermittelt wird, obwohl die meisten Lerner in ihrer Rolle vielleicht nur einen Bruchteil davon benötigen und sich deshalb eventuell im Kurs langweilen oder überfordert sind, da sie nicht das nötige Vorwissen mitbringen.

EPSS gleichen diese Defizite aus, indem sie auf Abruf die Kenntnisse vermitteln, die der Mitarbeiter gerade benötigt, um zum nächsten Prozessschritt zu gelangen. Damit ermöglichen EPSS ein rollenbezogenes effizientes Lernen während der Arbeit, bei dem der Fokus auf den individuellen Aufgaben und Zuständigkeiten des Lerners liegt.

Unser "IMC Process Guide" bietet darüber hinaus, den Vorteil, den ganzen Prozess durchgehend von Anfang bis Ende abzubilden, anstatt nur bruchstückhafte Hilfestellungen zu bieten. Mitarbeiter werden somit aus dem System heraus live durch den gesamten Prozess geführt.

Am Ende steckt in einem solchen System dann wohl ähnlich viel Wissen wie in einer kleinen Bibliothek. Aus welchen Quellen stammt das Know-how, das der Anwender benötigt und wie werden diese Lerninhalte verwaltet?

Jens Reisdorf: Um den Ansprüchen und Standards des Unternehmens so gut wie möglich Rechnung zu tragen, sollten die benötigten Inhalte im Unternehmen selbst zusammengetragen werden. Im besten Fall stellen so genannte "Power User", das heißt Mitarbeiter, die im Umgang mit den relevanten Fragestellungen, Programmen und Prozessen am erfahrensten sind, die benötigten Informationen bereit, indem sie beispielsweise in Form kleiner Infotexte Antworten auf häufig gestellte Fragen verfassen oder den Ablauf komplexer Prozesse in einzelnen Schritten definieren.

Diese Inhaltserstellung kostet zwar erst einmal etwas Zeit, doch in der Regel lohnt sich der Aufwand. Nicht selten werden die benötigten Inhalte allerdings von externen Anbietern beziehungsweise aufzubereiten. Was die mediale Umsetzung angeht, gibt es hier ganz unterschiedliche Möglichkeiten. Ob mit Videos, Links, Grafiken oder reinen Textelementen gearbeitet wird, kommt ganz auf den Inhalt an, der vermittelt werden soll.

Es wäre sogar denkbar, kleine Wissenstests oder ansprechend gestaltete Mini-Lerneinheiten in das System einzubauen. In unserem EPSS "Process Guide" steht ein eigenes Tool zur Verfügung, um die entsprechenden Inhalte zu erstellen. Einzelne Mitarbeiter legen darin selbst die Einträge an, die ihre Kollegen dann später ganz individuell nutzen können.

Die IMC AG veranstaltet am 11. August 2015 ein Kaffeepausen-Webinar zum Thema, in dem Jens Reisdorf individuelle Fragen rund um den Einsatz von EPSS beantwortet.