Key-Note Schulforum

"Wofür und für welche Zukunft bilden wir aus?"

Ulm/Berlin, November 2011 - Die Keynote-Speakerin des 3. Schulforums der ONLINE EDUCA BERLIN, Dr. Katja Kantelberg, ist Diplompädagogin und Medienpsychologin. Sie gründete und leitete in einem der größten deutschen Bildungsverlage eine Akademie, wechselte als Geschäftsführerin zu einer Bildungsberatung in die Schweiz und ist heute in den Bereichen Beratung, Trainingskonzeption und Coaching als freie Personal- und Organisationsentwicklerin aktiv. "Lernkultur in der Schule entwickelt sich, wenn sich die Zielsetzung des Lernens ändert", vertritt Kantelberg überzeugt.




Was beeinflusst schulische Lernkultur?

Dr. Katja Kantelberg: Jede Lernkultur einer Organisation, so auch eine Organisation wie Schule, wird konstruiert durch die Kommunikations- und Interaktionsprozesse der Beteiligten. Im engsten Sinne sind das in Schule Lehrer, Schulleitung und Schüler sowie die Schulbehörden. Zunehmend treten auch externe Bezugsgruppen wie z.B. Eltern, Unternehmen oder Presse mit Ansprüchen an eine veränderte Lern- und damit Lehrkultur an Schulen heran. Lernkultur bezieht sich dabei immer auf die Geschichte, die historisch entstandenen Regeln und Rituale, ist daher im gewissen Sinne konstituierend und doch wandelbar - weil eben durch Kommunikation- und Interaktionsprozesse gestaltbar und beeinflusst durch sich wandelnde gesellschaftliche und kulturelle Einflüsse.

Praktisch gesprochen: Schule in Deutschland hat eine stark tradierte Lernkultur auf religiösem und militärischem Hintergrund, die durch die relativ eindimensionale Lernsozialisation ihrer "Macher" schwer veränderbar ist (Schule-Hochschule-Schule). Die sich dynamisierenden gesellschaftlichen Rahmenbedingungen haben jedoch Schule in den letzten Jahren in Irritation und Aktionismus gesetzt - der Trend der Digitalisierung war dabei nicht unbedingt ein Auslöser. Vielmehr die sich immer schneller drehende Veränderungsspirale mit den damit einhergehenden Unsicherheiten für die Zukunft stellen das traditionelle Lern- und Schulverständnis in Frage.

Wofür und für welche Zukunft bilden wir aus? Das ist heute eine der zentralen Fragen. Diese Verunsicherung greift langsam die relativ kristalline Lernkultur in Schulen an, Neues wird gewagt. Manchmal freiwillig, häufig unter dem Motto "halb zog man sie, halb sanken sie dahin."

Welche Anteile/Einflüsse haben Schulleitung, Lehrer, Schüler und das leidigte Thema "Geld" bzw. Ausstattung der Schulen?

Dr. Katja Kantelberg: Meine Meinung dazu lautet: Gebt den Schulen ein Jahres-Globalbudget, mit dem sie dann machen können, was sie für richtig und förderlich halten. Natürlich unter gewissen Qualitätskriterien. Gebt ihnen die Möglichkeit, das passende Personal auszuwählen und auch sich von "nicht-passendem" wieder verabschieden zu können. Belohnt Eigeninitiative und Leistung. Und stellt Geld für genügendes individuelles und organisationales Lernen den Einzelschulen zur Verfügung.

Und dann: Auf den Anfang kommt es an: deshalb eine Mittelumverteilung mit besserer Ausstattung für die Grundschulen. Auch beim Thema Geld gilt: belohnt Erfindergeist bei der Mittelbeschaffung - frei nach dem Motto: Wir haben 1000 € durch Aktion X selbst aufgetrieben, dann legt die Dienstaufsicht noch einmal Y % obendrauf....

Wie viel Technik ist im Schulalltag wünschenswert? Sollten digitale Medien für punktuelle Highlights im Schulalltag sorgen - also sporadisch zum Einsatz kommen - oder zum Lehr-/Lern-Standard werden?

Dr. Katja Kantelberg: Medien machen per se das Lernen nicht besser. Deshalb brauchen Lehrkräfte zum Einen mehr aktuelles Wissen über das Lernen an sich und darüber hinaus viele eigene praktische Erfahrungen; zum Beispiel durch eine konsequente Lehrerfortbildung in "Blended Learning-Formaten". So können Sie ihr bisheriges Professionshandeln vor dem Hintergrund aktueller Informationen reflektieren und ihre eigene Lernsozialisation durch die Teilnahme an medial/digital arrangierten Lernszenarien Stück für Stück verändern. Dort können sie - quasi im "geschützten Raum" - all die Medien ausprobieren, mit denen viele ihrer Schüler längst arbeiten. Dort können sie den Transfer leisten, welche Medien in welchen Lernarrangements zu ihren Lernzielen und Themen passen.


Und dann brauchen die Schulen eine handhabbare Technikausstattung, die von Profis gewartet wird - und nicht von "abgeordneten" Lehrkräften. Die Technik soll kein Highlight sein, sondern sinnvoll, zielführend eingesetzt werden, also Mehrwert bringen. Dazu wird eine funktionierende Basisaustattung benötigt - je nach Schulform spezifisch angepasst.

Verändert sich mit der Lernkultur auch die Zielsetzung des Lernens oder welche anderen Komponenten beeinflusst dieser Faktor noch?

Dr. Katja Kantelberg: Nein, umgekehrt: Wenn sich die Zielsetzung des Lernens ändert und diese Zielsetzung auch von den Lehrkräften akzeptiert und im alltäglichen Lern-Lehrleben konsequent umgesetzt wird, dann ändert sich die Lernkultur einer Schule!

Hängen bessere Lernergebnisse mit gesteigerter Motivation zusammen oder lernt es sich mit digitalen Medien in manchen Fächern einfach leichter?

Dr. Katja Kantelberg: Die Neurowissenschaftler würden sagen: Reizdarbietung alleine reicht nicht, um zu lernen - so geht es auch den Medien. Aber: Gekonnt eingesetzte digitale Medien können Inhalte emotionalisieren - und das hat - sofern es positive Emotionen sind - nachweislich positiven Einfluss auf das Lernen. Gern wird in diesem Zusammenhang auch argumentiert, das die heutigen Schüler eben "medial verwöhnt" sind. Sie erleben nach der Schule in ihrer Freizeit ein Edutainmentprogramm, das sich zumindest bezüglich der technischen Gestaltung und vom Design her deutlich unterscheidet von jenen klassischen Lernmedien und der "Bühnenpräsenz" vieler Lehrkräfte.

Mein persönlicher Tipp: Schickt Lehrer in Bühnentrainings und in virtuelle Welten als Lehrerfortbildungsangebot, dann werden sie sicher den ein oder anderen Inhalt oder sich selbst als Medium zukünftig anders "designen".

Wie sieht Ihre Version einer Lernkultur 2020 aus?

Dr. Katja Kantelberg: Schulen als Lern- und Lebensraum, in denen intensiv, mit Energie und einer Kombination aus Ernsthaftigkeit, Verbindlichkeit und respektvollem Humor an den Zielen jedes Einzelnen und dennoch an gemeinsamen Themen mit Hilfe digitaler Medien gearbeitet wird.
Lernorte, an denen der Einzelne sich selbstwirksam-erfolgreich, autonom und dennoch sozial eingebunden fühlt. Lernkultur 2020 heißt auf die digitalen Medien bezogen, dass sich die Lernsozialisation der Lehrenden dahingehend verändert hat, dass es selbstverständlich geworden ist, dass die Lehrerfortbildungsangebote selbst in elaborierten und sinnvollen Blended-Learning-Dramaturgien gestaltet sind.