'Buzz' um HTML5

Wachsendes Interesse an "immersiven Lernwelten"

Meerbusch, Mai 2012 - Bei Zone 2 Connect wurden in den letzten Jahren einige preisgekrönte Serious Games kreiert. Doch Geschäftsführer Thorsten Unger beschäftigt sich über die konkrete Planung und Umsetzung von Serious Games und Game-Based Learning hinaus mit dem Thema und ist sowohl Mitautor der Plattform www.seriousgames.de, als auch gefragter Berater für Industrie und Politik in Bezug auf das Thema spielbasiertes Lernen. Er beantwortet die Fragen von CHECK.point eLearning zu 3D-Welten gemeinsam mit Jannis Goossens, der bei Zone 2 Connect als wissenschaftlicher Projektleiter und Consultant wirkt.




Wohin entwickeln sich 3D-Anwendungen seit dem Ende des Hypes um Second Life?

Thorsten Unger: Wir bemerken ein verstärktes Interesse an 3D Welten als immersive Oberflächen für das Arrangement von Lerninhalten. Der entscheidende Unterschied zu Second Life ist aber, dass heutige Anwendungen mit einem klaren Nutzenkonzept ausgestattet sind. Die Lerner können zwar frei begehbare Areale erkunden und nach interessanten Aufgaben, Informationen und integrierten Bildungsangeboten absuchen, sie werden aber durch die Anwendung mit Navigationshinweisen, vor allem aber durch Aufgaben und aufeinander aufbauende Prozesse geführt.


Die Gestaltung der 3D Umgebung kann sich dabei auf die überzeugende Nachbildung von realen Räumlichkeiten beziehen, wenn Inhalte kontextnah vermittelt und angewendet werden sollen. Es ist aber natürlich auch möglich, "weichere" Faktoren wie eine Unternehmenskultur oder Führungsphilosophie durch eine phantasievolle Ausgestaltung der Areale zu transportieren.


Entscheidender Faktor ist neben einer nahtlosen Integration von Lernmedien wie Video, Animation, Audio, Bild und Text, Ziele und Impulse zu geben, sich produktiv mit der virtuellen Welt auseinander zu setzen. Dies kann etwa durch Aufgaben, die das informative Erforschen der virtuellen Umgebung belohnen, realisiert werden.

Haben Avatare in Lernszenarien ausgedient?

Thorsten Unger: Das lässt sich so einfach nicht bestätigen. Es kommt auf die zu vermittelnden Lerninhalte und die gewählte Methodik an. Avatare erhöhen einerseits das Identifikationspotenzial und stellen einen wichtigen Bestandteil des Lernerlebnisses dar, da sie den Transfer in die Realität durch den hohen Praxisbezug verstärken. Aus didaktischer Sicht ermöglichen Avatare, gegebenenfalls mit einem individuellen Set an virtuellen Fähigkeiten, auf greifbare Art und Weise spezielle Perspektiven zu übernehmen. Vor allem bei teamorientierten Aufgaben können Anwender in spezialisierte Rollen schlüpfen und für individuelle Stärken und Schwächen sensibilisiert werden.


Selbstverständlich machen Avatare nicht in jedem Lernszenario Sinn. Bei Simulationen, in denen komplexe Systeme aus der "Vogelperspektive" gesteuert werden um prozesshafte Zusammenhänge zu verstehen, kann auf eine visualisierte Persönlichkeit des Spielers eher verzichtet werden.
Eine Hemmschwelle beim Einsatz von Avataren besteht neben den technischen Restriktionen auch in den Produktionskosten.


Die Nutzung von Avataren, beispielsweise in virtuellen Rollenspielen und Dialogen, wird zukünftig durch Autorensysteme erleichtert. So unterstützt unser Produkt "SimuCoach" eLearningautoren dabei, ohne Programmierkenntnisse Szenen mit der Verwendung von Avataren zu erstellen. Der Anwender sieht sich dadurch als Teil der virtuellen Welt und kann die konkrete Anwendung abstrakter Lerninhalte selbstwirksam erfahren.

Welche Rolle spielt 3D für Serious Games? Welche Unterschiede zu 2D-Spielen stellen Sie fest?

Jannis Goossens: Der Effekt der Immersion, also das Eintauchen in die virtuelle Welt "hinter dem Bildschirm", ist bei 3D Umgebungen höher als bei 2D Visualisierungen. Allerdings bergen 3D Umgebungen auch gewisse Schwierigkeiten - durch die Navigation auf drei Achsen wird die Steuerung für weniger erfahrene Zielgruppen erheblich anspruchsvoller und muss daher von Entwicklern mit viel Bedacht umgesetzt werden.


Im dreidimensionalen Raum lassen sich natürlich sehr realistische Szenarien aufbauen - allein durch die Möglichkeit der Betrachtung eines Objektes aus sämtlichen Blickwinkeln eröffnen sich hier vielfältige Möglichkeiten für didaktische Ansatzpunkte. 3D ist aber nicht zwingend für alle Lerninhalte die bessere Lösung: Abhängig von den Lernzielen und dem didaktischen Game-Design kann auch eine übersichtliche 2D Oberfläche vorteilhafter sein.

Wie wirkt sich das Dilemma des Flash-Boykotts auf iPads aus?

Thorsten Unger: Mit dem stark zunehmenden Interesse an webbasierten mobilen eLearning-Lösungen sind Entwickler gezwungen, in diesem Segment von der multimedial leistungsstarken Flash-Umgebung abzurücken. Das ist schon bedauerlich, da Flash als einheitliches Medienformat mit großer Verbreitung umfangreiche und anregende Lernspiel-Erfahrungen ermöglicht.


Mit HTML5 steht ein vielversprechendes neues Instrument in den Startlöchern, das momentan durch die inhomogene Implementierung in den aktuellen Browsern noch hinter den Realisierungsmöglichkeiten von Flash steht - 3D-Welten sind in HTML5 zur Zeit nur eingeschränkt zu realisieren.


Im Gegensatz zu Apps, die sich mit vielen Programmiersprachen und sogar auch mit Flash entwickeln lassen, beobachten wir ein verstärktes Interesse an pflegeleichten Browser-Lösungen. Für diese Web-Lösungen muss bei mobilen Endgeräten gänzlich auf Flash verzichtet und auf HTML-5 zurückgegriffen werden. Auch wir haben dieser Entwicklung Rechnung getragen. Unsere Autorenwerkzeuge zur Erstellung von Lernspielen und Dialogen liefern die erstellen Inhalte als HTML5-Trainings aus.

Welche technischen Probleme und Hürden stehen dabei im Vordergrund?

Jannis Goossens: Als Entwickler von eLearning-Angeboten, die das motivierende und didaktische Potenzial von digitalen Spielen nutzen, haben wir natürlich hohe Ansprüche an die visuelle und auditive Gestaltung unserer Lernlösungen. Mit HTML5 entwickelt sich momentan ein Standard, der diesem Anspruch entgegenkommt, allerdings noch mit einigen Schwierigkeiten zu kämpfen hat. So ist zum Beispiel eine Vertonung von HTML5 Anwendungen mit höherem Aufwand verbunden, da gängige Web-Browser nur unterschiedliche Audio-Formate unterstützen - dasselbe gilt für Videos.


Um sicherzustellen, dass unsere Anwendungen ihr Lernerlebnis auf allen Browsern und Geräten entfalten, müssen wir derzeit stets mehrere Versionen der inhaltlich gleichen Audio und Video-Ressourcen hinterlegen. Insgesamt aber empfinden wir den Trend zu freien Web-Technologien als äußerst sinnvoll, allerdings sollte bei all dem "Buzz" um HTML5 nicht vergessen werden, dass vieles erst mit den neusten Generationen der Webbrowser möglich ist. Viele Unternehmen sind hier auf Grund der Sicherheitsrichtlinien noch mit älteren Browsern ausgestattet.


Der Trend zum Mobile Computing wiederum macht Platz für native- und moderne Web-Apps in HTML5. Somit muss oftmals auch eine parallele Entwicklung betrieben werden. Wir betrachten den aktuellen Trend als Übergangsphase hin zu neuen Web-Technologien. Neue Trends wird es zwar immer geben, aber der aktuelle Umschwung ist doch als größerer Sprung zu bezeichnen.

Erwarten Sie eine Aufwertung von und verstärkte Nachfrage nach 3D-Lernszenarien in naher Zukunft?

Thorsten Unger: Bisher ist die Anzahl an tatsächlich realisierten 3D Lernszenarien noch überschaubar. Wir bemerken jedoch ein wachsendes Interesse an solchen "immersiven Lernwelten". Ein Blick in Länder wie Frankreich, Großbritannien oder auch in die USA zeigt aber, wohin sich der Markt entwickeln wird. Wir erwarten, dass sich in den kommenden Jahren mehr Projekte im betrieblichen Einsatz durchsetzen und die Nutzung sich stärker ausdifferenziert, etwa durch einen vielseitigeren Einsatz in unterschiedlichen Unternehmensbereichen.


Mit diesem Prozess sind dann Fortschritte und Erkenntnisse hinsichtlich didaktischem Design, produktivem Einsatz von 3D sowie innovativen Konzepten zur Verbindung aus 2D, 3D und sozialer Interaktion zu erwarten.