Ein neuer Hype?

Explodierende Erwartungen - massive Enttäuschungen?

Professor Dr. Christoph IgelSaarbrücken, April 2014 - Professor Dr. Christoph Igel ist Director des Centre for eLearning Technology (CeLTech) im Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI). Daneben hat er 2013 als Direktor und CEO die TU Chemnitz Education (TUCed), An-Institut für Weiterbildung an der TU Chemnitz übernommen. Als Mitglied unterschiedlichster Gremien wie etwa der Projektgruppe "Intelligente Bildungsnetze" des Nationalen IT-Gipfels und Co-Autor in der Arbeitsgruppe "Smart Service Welt" der Forschungsunion Wirtschaft - Wissenschaft vertritt er die Meinung, dass MOOCs in Deutschland keine wirklich neuen Perspektiven eröffnen.

Wieso ist die MOOC-Bewegung in Deutschland so verhältnismäßig spät angekommen?

Prof. Christoph Igel: In Deutschland haben kostenfreie Bildungsangebote im tertiären Bildungsbereich eine lange Tradition im Gegensatz etwa zu den angelsächsischen Ländern. In den USA war und ist der Ansatz, MOOCs kostenfrei zu präsentieren, eine neue Form des Hochschulmarketing und heutzutage auch des Personal Recruitment für Unternehmen, woraus neue Geschäftsmodelle für die MOOC-Anbieter entstanden. Hinsichtlich des Marketingaspektes im Übrigen in der Tradition der MIT OpenCourseWare Initiative stehend, wo seit mehr als zehn Jahren Lerninhalte in rund 1.900 Kursen kostenlos und frei zugänglich online verfügbar sind.

Hierzulande ist an der Idee von MOOCs wenig neu - außer der Idee zur Nutzung für die "offene Hochschule", also einer
Bildungseinrichtung, die sich u.a. durch das Angebot von MOOCs öffnet und neue Zielgruppen für Studium und Weiterbildung erschließen kann.

Als neu kann man auch den damit potenziell begründbaren Ruhm von "Starprofessoren" bezeichnen. Immerhin beinhalten MOOCs einen hohen Grad an Öffentlichkeitswirksamkeit und Visibilität im Internet, der für Standort- und andere Marketingzwecke einer Universität einsetzbar ist. Doch eigentlich ist hier ein US-amerikanischer Trend einfach "herübergeschwappt".

War der Zeitpunkt, zu dem MOOCs in Deutschland an Popularität gewannen, ein Zufall?

Prof. Christoph Igel: Meines Erachtens ist es an der Zeit, um etwas Neues auf den Weg zu bringen, das Thema eLearning, Bildungstechnologien und digitale Medien in Kita, Schule, Studium und Weiterbildung mit zukunftsweisenden Impulsen zu versehen. Ansonsten drohen wir im Dornröschenschlaf zu versinken und zu den ewig Gestrigen zu zählen. Dies dürfen wir aus unserer Verantwortung für unser Thema und die von uns geleiteten Institutionen nicht zulassen.

Neue Impulse könnte aus einem intelligenten Bildungsnetz für Hochschulen bestehen, wie es die entsprechenden Bericht der Projektgruppe des Nationalen IT-Gipfels bereits 2012 beschrieben und nochmals in 2013 vertieft hat. Das Zusammenspiel von Bildungs-, Technologie- und Organisationsentwicklung in Bildungseinrichtungen auf allen Ebenen und in allen Bereichen müssen auf ein neues Niveau zu heben. Dies wird jedoch keine Revolution, wie oftmals öffentlichkeitswirksam proklamiert, dies wird eine Evolution.

Aber ich warne dezidiert und nachdrücklich vor einem vermeintlich neuen Hype, der die alten, mannigfach bekannten Fehler wiederholt, indem Insellösungen und Leuchtturmprojekte ohne Nachhaltigkeit produziert und vornehmlich IT-getrieben stimuliert werden. In immer kürzeren Zeiträumen sehen wir hierzulande einen neuen Hype, der seine Protagonisten nach kurzer Zeit in Erklärungsnöte bringt, warum dieser oder jener vermeintliche Lösungsansatz wieder nicht funktioniert hat.

Aktionismus ist hier fehl am Platze, vermeintlich kurzfristige Effekte und Showcases schaden mittel- und langfristig all jene Kolleginnen und Kollegen, die seit vielen Jahren mit großer Ernsthaftigkeit, Kompetenz und Erfahrung im Rahmen ihrer Möglichkeiten und Verantwortung die technologiebasierte Bildung entwickeln und voranbringen.

Welche Rolle können MOOCs dann Ihrer Meinung nach spielen?

Prof. Christoph Igel: Im Fokus all unserer Aktivitäten muss doch immer die Verbesserung der Qualität von Aus- und Weiterbildung in allen Bildungssegmenten stehen. Dabei ist die Frage zu stellen, welche Mehrwerte ermöglichen Technologien, was ist didaktisch sinnvoll und methodisch hilfreich und wie gestalten wir die hierfür erforderlichen Prozesse der Organisations- und insbesondere auch der Personalentwicklung. Dies gilt für den Public Sector ebenso wie für den Corporate Sector.

Doch die Rahmenbedingungen verschärfen sich. Der Bologna-Prozess mit seinen Chancen zur Interaktion von Wirtschaft und Wissenschaft hat nicht zu den politisch gewünschten und in der Sache durchaus möglichen Ergebnissen geführt. Der Leidensdruck steigt. Daher wird nach zeitgemäßen, aber auch zukunftsweisenden methodischen Ansätzen gesucht.

Allerdings können weder MOOCs noch eLearning jene Probleme lösen, vor denen wir in Zeiten des demographischen Wandels und der Herausforderung von "Industrie 4.0" und "Smart Service Welt" stehen. Es handelt sich um ein typisches Phänomen unserer Zeit: Erst explodieren die Erwartungen, dann folgt eine massive Enttäuschung. Dies gilt es für unser Thema zu verhindern, ansonsten befürchte ich erhebliche negative Effekte und eine Abwendung von unserem Thema.