Innovative Lernkonzepte

Hirnforschung für die Jobsuche

Nürnberg, November 2007 - Im Zuge der Umstrukturierung der Bundesagentur für Arbeit (BA) haben die Verantwortlichen einen ungewöhnlich radikalen Schritt gewagt. Dr. Sven Schütt, Neurobiologe und Geschäftsführer Spezifische Produkte und Programme im Bereich des Sozialgesetzbuchs III der BA setzte jüngste wissenschaftliche Untersuchungsergebnisse aus der Hirnforschung für die Gestaltung von Förderprogrammen für Arbeitsuchende in die Praxis um.




Herr Dr. Schütt, Sie sind promovierter Neurologe und nun bei der Bundesagentur für Arbeit als Geschäftsführer des Zentralbereichs Produkte und Programme tätig. Was haben Neurowissenschaften und die Wiedereingliederung Arbeitsuchender gemeinsam?

Dr. Sven Schütt: Nach umfassender wissenschaftlicher Evaluation erkennen wir, dass nicht alle Förderprogramme wirksam sind. Um nicht länger Milliarden ohne messbare Wirkung zu investieren, entwickelten wir wirksamere Methoden und verfügen nun über Förderprogramme mit deutlich verbesserter Wirkung.

Die Gestaltung einiger dieser Programme steht auch im Einklang mit wesentlichen Erkenntnissen der Neurowissenschaft: Es hat sich gezeigt, dass emotionale Prozesse für das Lernen enorm wichtig sind. Erfolgserlebnisse motivieren Menschen. Freude fördert das Lernen. Es ist nachgewiesen, dass der Lernstoff mit den beim Lernen empfundenen Gefühlen gemeinsam gespeichert wird - und beides beim erneuten Abrufen wieder auftritt. Diese Einsicht haben wir uns zu Nutze gemacht und eine Strategie der kleinen Schritte gewählt, mit der wir Menschen erfolgreich in Arbeit bringen.

Aus welchen Gründen sind frühere Maßnahmen gescheitert?

Dr. Sven Schütt: Formelles Lernen ist insbesondere für ältere, bildungsferne Menschen weitgehend ungeeignet, was nicht heißt, dass ältere Menschen per se schlechter lernen. Das Gehirn lernt immer. Umschulungsmaßnahmen haben deshalb häufig für diesen Personenkreis keine befriedigenden Ergebnisse erzielt, weil sie mit langen Unterrichtsphasen des formellen Lernens verbunden waren.

Es ist kein Wunder, wenn beispielsweise ein Handwerker in solch einer formellen Lernumgebung abschaltet, denn er ist es nicht gewohnt, auf diese Weise zu lernen. Es ist anstrengend und frustrierend und macht ihm keinen Spaß.

Die Neurowissenschaft hat auch eine rationale, empirische Grundlage für die Art geschaffen, wie ältere bildungsferne Menschen lernen. Sie müssen wieder lernen zu lernen. Dabei sind informelles Lernen und Job-orientierte Motivierungsmaßnahmen häufig die besseren Werkzeuge, um in kleinen Schritten diese Menschen an das Lernen heranzuführen.

Wie sieht Ihre Strategie der kleinen Schritte aus?

Dr. Sven Schütt: Am Anfang steht eine umfangreiche Beratung, in der wir gemeinsam mit dem Arbeitsuchenden Handlungsbedarf feststellen, die Ziele und mögliche Maßnahmen und Schritte vereinbaren. Ein neuer erster Ansatz sind ganzheitliche Maßnahmen, die aktivierende, qualifikatorische und vermittlerische Elemente enthalten. Dabei wird versucht nicht sequentiell nur an der Qualifikation oder der Vermittlung zu arbeiten. Vielmehr geht es darum, die Eigeninitiative der Arbeitslosen zu stärken und gemeinsam die notwendigen Schritte zum Job zu planen und umzusetzen.

Regelmäßig wird dabei der Integrationsfortschritt durch den jeweiligen Bewerbungserfolg überprüft. So gelingt es, Frustration in einem formellen Lernkontext zu vermeiden und stattdessen immer das konkrete Ziel der Integration vor Augen zu halten. Zweitens nutzen wir auch verstärkt Kooperationen mit Zeitarbeitsunternehmen. Auch hier ergeben sich informelle Lernkontexte "on the Job", die häufig den Stärken insbesondere von bildungsfernen Arbeitslosen entsprechen.

Drittens versuchen wir auch, die Qualifizierung im Unternehmen zu fördern. So gelingt es, Arbeitslose stets bezogen auf den konkreten Arbeitsplatz zu qualifizieren. Dieses erhöht deutlich die Eingliederungschancen und die Lernmotivation des Arbeitslosen.

Ihre LEARNTEC Veranstaltung zum Thema:

Sektion Didaktik 4
: "Hirnforschung und innovative Lernkonzepte",
Do 31.01.2008, 10:00 - 12:30 Uhr,
Vortrag: "Erfolgsfaktoren für Weiterbildung - Praktische Erfahrungen aus neurowissenschaftlicher Perspektive"