Talentmanagement

Lernarchitekturen als Gestaltungsansatz

Bonn, Juni 2008 - (von Dr. Andreas Närmann, Maryam Samiei Rupp und Dr. Jörg Sander, Detecon International) Das Talentmanagement der Zukunft kann sich angesichts des bevorstehenden Mangels an Arbeitskräften nicht mehr darauf beschränken, Rosinen herauszupicken. Vielmehr kommt es darauf an, nach Möglichkeit bei jedem Mitarbeiter die individuellen Stärken zu fördern. Gleichzeitig entsteht Druck auf die Personalentwicklung, die Kosten der betrieblichen Weiterbildung rechtfertigen zu müssen. Denn die Unternehmensführung erwartet, dass Seminare und Trainings einen konkreten und nachweisbaren Ertrag liefern.




Um diesen Anforderungen gerecht zu werden, ist ein systematischer Ansatz erforderlich. Eine Lernarchitektur, die pädagogische Konzepte, wirtschaftliche Aspekte und technische Instrumente verbindet, stellt einen solchen Ansatz dar, der die Personalenwicklung systematisch weitergestaltet.


Viele Märkte verändern sich permanent: Technologien wandeln sich, neue Unternehmen betreten mit neuen Geschäftsmodellen treten auf, Wertschöpfungsketten verändern sich. Innovationen finden fast täglich statt. Um sich auf solche Rahmenbedingungen einzustellen, müssen Unternehmen laufend neue Technologien, Produkte und Services einführen und eigene Strukturen daraufhin optimieren können. Das ist aber nur die eine Seite der Medaille.


Um erfolgreich zu sein, muss hierzu auch das Human Capital mitspielen. Nur wenn die Mitarbeiter die erforderlichen strategischen Kompetenzen aufweisen, kann auf Marktanforderungen in der geschilderten Weise flexibel reagiert werden. Das Human Capital entwickelt sich demnach zum strategischen Erfolgsfaktor.


Drei zentrale Fragen müssen beantwortet werden, damit das Human Capital die Unternehmensziele optimal unterstützt:

  • Welche technik- und verhaltensorientierten Kompetenzen benötigen meine Mitarbeiter zukünftig, um den veränderten Rahmenbedingungen gerecht zu werden?
  • Wie können die Anforderungen des Marktes und die Kompetenzen der Mitarbeiter bestmöglich in Einklang gebracht werden?
  • Wie kann ich meine internen Strukturen aufbauen, um das Human Capitals effizient zu steuern?


Know-how: Lernarchitektur als Gestaltungsansatz



In einem von der Deutschen Telekom initiierten Firmennetzwerk von Personalentwicklungsexperten aus renommierten Unternehmen wurde in den letzten Jahren das Modell einer zukunftsorientierten Lernarchitektur entworfen. Die zu bewältigende Gestaltungsaufgabe wurde in sechs Handlungsfelder, den Bausteinen der Lernarchitektur, gegliedert, die auch den Handlungsrahmen für die Personalentwicklung darstellen.Indem das Modell der Lernarchitektur vor allem diejenigen Faktoren berücksichtigt, die auf die Art und Weise des Lernens Einfluss nehmen, leitet es hieraus Anforderungen an Lernakteure im Unternehmen ab.

























Die identifizierten Business Trends ergeben sich einerseits aus dem Geschäftsumfeld, andererseits aus Effizienzforderungen. Im Zuge des Ratings von Unternehmen, wie es etwa Basel II fordert, wird der Nachweis einer systematischen und nachhaltigen Qualifizierung ohnehin zu erbringen sein. Daneben weisen internationale Studien (z.B. Watson Wyatt Human Capital Index 2005) auf einen starken Zusammenhang zwischen kontinuierlichem Personalmanagement und -entwicklung einerseits und dem Unternehmenswert andererseits hin.


Die Business Trends wecken Anforderungen an die beteiligten Stakeholder: So müssen Mitarbeiter künftig ihre Lernprozesse aktiver und eigenständiger wahrnehmen als dies heute der Fall ist. Lernen am Arbeitsplatz oder selbst gesteuert mittels elektronischer Medien wird immer mehr zum Normalfall. Die hierzu notwendigen Sozial- und Lernkompetenzen müssen durch Maßnahmen entwickelt werden. Die Führungskräfte müssen sich wiederum der gesteigerten Verantwortung für die Entwicklung ihres Personals bewusst werden. Aus dem heute überwiegend formalisierten Mitarbeiterjahresgespräch muss eine kontinuierliche Entwicklungsbegleitung werden.


Für Programmverantwortliche und Trainingsanbieter ist ein Umdenken bei der methodischen Gestaltung des Lernens erforderlich. Präsenzangebote sollten z.B. nur noch angeboten werden, wenn andere Methoden sich als ungeeignet oder zu teuer erweisen. Die Unternehmensführung schließlich muss Lernen als zentrales Führungs- und Steuerungsinstrument und Baustein für Wettbewerbsfähigkeit wahrnehmen und etablieren. Die Entwicklung einer zukunftsorientierten Lernarchitektur, in der Lernen als "Wert" betrachtet wird, gerät dann zur Selbstverständlichkeit.


Aus den oben skizzierten Trends und Anforderungen an die Stakeholder wurden die folgenden sechs Module der Lernarchitektur entwickelt:

  1. "Mitarbeiter befähigen" bedeutet, die Mitarbeiter beim selbständigen und selbstgesteuertem Lernen zu unterstützen und diese Fähigkeiten zu entwickeln mit dem Ziel, die Beschäftigungsfähigkeit der Mitarbeiter zu erhalten. Karriereschritte müssen von der Teilnahme an rollenspezifischen Trainings begleitet werden.
  2. "Führungssysteme anpassen" heißt, dass auch die Führungsebenen sich an der Entwicklung der Lernkultur aktiv beteiligen. Manager müssen ihre Mitarbeiter fördern und fordern, sowie eine Vorbildrolle in Sachen Lernen einnehmen. Kompetenz- und Skillprofile stehen für die gesamte Organisation zur Verfügung.
  3. "Methoden weiterentwickeln" beinhaltet das Bereitstellen von modernen Lernmethoden, die neben das Präsenztraining treten. Die Auswahl der Lernmethode findet im Einzelfall an Hand von Effizienz- und Effektivitätsüberlegungen statt.
  4. "Infrastruktur ausbauen" ist eine wichtige Voraussetzung für Punkt 3. Dies stellt sicher, dass die Mitarbeiter auch tatsächlich in die Lage versetzt werden, zu lernen. Das kann z.B. durch die Einführung eines Lernmanagement-Systems geschehen, welches die vorhandenen Lernmethoden orts- und zeitunabhängig bereit stellt.
  5. "Ergebnisse messen" sichert die Nachhaltigkeit der eingeleiteten Maßnahmen und dient der Einhaltung von Qualitätsstandards, der Transparenz der Ausgaben für Qualifizierung, oder auch der Bereitstellung von Daten zur Bestimmung des Humankapitals.
  6. "Lernkultur entwickeln" beschreibt ein Modul, das alle vorhergehenden umschließt. Die Lernkultur manifestiert sich vor allem in der Gestaltung von Rahmenbedingungen und Unterstützungsleistungen, die das Lernen längerfristig und nachhaltig fördern sollen.


Eine Reifeprüfung für die Personalentwicklung



Was bedeutet nun die Lernarchitektur mit den sechs Bausteinen für die Personalentwicklung meines Unternehmens? Die Bausteine geben den konkreten Rahmen für Maßnahmen vor, die das Lernen im Unternehmen ausgestalten. Vor Auswahl dieser Maßnahmen ist es allerdings sinnvoll, den Reifegrad des eigenen Personalwesens einschätzen zu können. Dazu werden fünf "Reifestufen" unterschieden:

  1. Personnel: Fokus liegt auf HR-Administration (zum Beispiel Gehaltsabrechnung)
  2. HR Contributor: Unterstützt das Linienmanagement bei den operativen HR-Tätigkeiten (zum Beispiel Personalbeschaffung, Einführung oder Training)
  3. HR Service: Stellt HR-Dienstleistungen bereit, die die Geschäftsergebnisse verbessern (zum Beispiel Talent-Pool, Change-Maßnahmen)
  4. HR Business Partner: HR-Strategie ist Teil der Geschäftsstrategie und HR trägt maßgeblich zu Executives Decisions bei.
  5. HR Leader: Sieht Marktentwicklungen voraus und initiiert geeignete HR-Maßnahmen.
    1. Für jeden der sechs Bausteine der Lernarchitektur lassen sich nun für jeden Reifegrad Kriterien und Maßnahmen ausformulieren. Im Folgenden sind die Reifegrad-Stufen beispielhaft für die Bausteine "Methoden weiterentwickeln" und "Ergebnisse messen" zusammenfassend beschrieben.


      So lautet für den Baustein "Methoden weiterentwickeln" und die Reifegrad-Stufe "HR Service" das Kriterium: "Lernmethoden beinhalten Blended Learning". In einem Unternehmen, das sich auf dieser Reifegrad-Stufe befindet, werden eLearning-Methoden nun nicht mehr isoliert voneinander eingesetzt, sondern als Blended Learning, also kombiniert mit Präsenztrainings, angeboten.


      Ein Trainingsmanager eines solchen Unternehmens sollte demnach aus einer Palette von Lernmethoden auswählen können. Dabei sollte er die Methoden, die den besten Lernerfolg versprechen, für die jeweiligen Lerninhalte einsetzen können oder diejeni-gen Methoden selektieren, die aus ökonomischer Sicht sinnvoll erscheinen.


      Dasselbe Kriterium lautet für die nächste Reifegrad-Stufe "HR Business Partner": "Es stehen mehrere Lernmethoden für Lerninhalte über ein Lernmanagement-System (LMS) zur Verfügung." Zusätzlich werden die Maßnahmen nun über ein Lernmanagement-System koordiniert. Dies stellt sicher, dass eine Trainingsmaßnahme, die Blended Learning einsetzt, als ein einheitlicher Kurs angeboten werden kann. Alle Informationen und alle Zugänge zu den verschiedenen Teilen dieses Kurses werden über das Lernmanagement-System verknüpft und abgestimmt.


      Für einen erfolgreichen Übergang von der Stufe "HR Service" zur Stufe "HR Business Partner" ist die Einführung eines Lernmanagement-Systems ebenso erforderlich wie die Bereitstellung geeigneter Lernmethoden.


      Entsprechendes gilt für den Baustein "Ergebnisse messen". Hier lautet es für die Reifegrad-Stufe "HR Service": "Evaluation von Trainings-& Education-Maßnahmen sind die Basis für eine kontinuierliche Weiterentwicklung." In einem Unternehmen dieser Reifegrad-Stufe werden Trainingsmaßnahmen nicht mehr nur als Gesamtmaßnahme evaluiert, sondern auf individueller Basis für jeden Mitarbeiter. So sollte für jede Person eine Bildungshistorie existieren, die die Basis für seine/ihre individuelle Weiterentwicklung ist. Kontinuierlich wird das Thema zudem in den Mitarbeiterjahresgesprächen sichergestellt.

      Dasselbe Kriterium lautet für die nächste Reifegrad-Stufe "HR Business Partner": "Proaktives Messen und Steuern von Training & Education mit adäquaten Tools." Zusätzlich ist jetzt ein geeignetes Steuerungs-Tool, z.B. eine Learning Scorecard, implementiert. Dies erlaubt es, den Nutzen von Maßnahmen für das Unternehmen durch eine passende Auswahl von Kennzahlen zu bestimmen.


      Für einen erfolgreichen Übergang zur Stufe "HR Business Partner" ist unter anderem der Einsatz eines Steuerungs-Tools wie der Learning Scorecard erforderlich, um den Mehrwert der Bildungsmaßnahmen auf Unternehmensebene nachzuweisen. Die nachstehende Grafik fasst das Beispiel zusammen.


      Insgesamt besteht das Reifegradmodell aus jeweils vier bis sechs Kriterien zu den fünf Reifegraden, insgesamt aus 26 Kriterien. Zusammen mit den entsprechenden Maßnahmen für die anderen Module ergibt sich in Summe ein detaillierter Maßnahmenkatalog.

























      Ergebnisse einer Detecon-Umfrage



      Die Management-Beratung Detecon International untersuchte 2007 im Rahmen einer groß angelegten HR-Studie die Status des Reifegrades von zehn so genannten "Capability Areas". Diese stellten die Aufgabenfelder HR Strategy, HR Planning & Controlling, HR Organization & Services, HR-IT (eHR), Recruiting, Reformance Management & Compensation, Retention & Career Management, Leadership Management, Change Management & Communication und Training & Development dar.


      Die Untersuchung wurde beispielhaft bei Unternehmen der Telekommunikationsbranche durchgeführt. Weltweit stehen diese unter hohem Druck, da sich Rahmenbedingungen und Kundenanforderungen hier rapide ändern. Dies führt dazu, dass verstärkt nach innovativen Ansätzen zur Effizienzsteigerung gesucht wird - insbesondere auch im HR-Bereich.


      Hier betrachten wir nur den Anteil der Personalentwicklung (Training & Development). Dazu wurden Interviews in 24 internationalen Unternehmen geführt, insbesondere aus West- und Ost-Europa, dem Nahen Osten und dem asiatisch-pazifischen Raum. Die Fragen der Interviews orientierten sich inhaltlich an den Bausteinen der Lernarchitektur, da sich die Antworten den fünf Reifegrad-Stufen zuordnen ließen. Die Telekommunikationsunternehmen erhielten so eine ganzheitliche Bewertung des Status ihrer Personalentwicklung.


      Zusammengefasst einige wichtige Ergebnisse:



      Besonders interessant: Der durchschnittliche Reifegrad der Personalentwicklung ist von allen untersuchten "Capability Areas" am niedrigsten. Dies verdeutlicht einen im Vergleich zu den anderen "Capability Areas" größeren Handlungsdruck. HR-Manager bewerten die Frage nach dem Return on Invest der Personalentwicklung mit dem niedrigsten Wert überhaupt, entsprechend besteht ein großer Nachholbedarf.


      Interessant ist ein weiteres Ergebnis: HR-Manager bescheinigen den Bereichen Personalentwicklungs-Strategie und IT-Unterstützung eine hohe Reife, während die Geschäftsführung hier Entwicklungspotenzial sieht. Offensichtlich scheint es hier Klärungsbedarf über Form und Ziele von Strategie und IT-Unterstützung zu geben.


      Der Vergleich mit anderen "Capability Areas" zeigt, dass HR-Manager dem Einstellen neuer Angestellten starke Aufmerksamkeit schenken. Wenn es um eine kontinuierliche Personalentwicklung geht, scheint der Fokus hingegen zu verschwimmen.


      HR-Manager bewerten den Reifegrad der "HR-Bereichsstrategie" als höchsten von allen Gebieten. Da gleichzeitig der Reifegrad der Personalentwicklung von allen am niedrigsten ist, verdeutlicht dies, dass der Anteil der PE an der HR-Strategie als gering erachtet wird. Hier sollte ein Umdenkungsprozess einsetzen.


      Die Autoren



      Dr. Andreas Närmann ist Managing Consultant bei Detecon International GmbH in Bonn in der Gruppe "Business Innovation". Er ist auf den Gebieten Intellectual Asset Management und Bildungsmanagement tätig. Einer seiner Schwerpunkte ist das Bildungscontrolling. In einer Reihe von Projekten bei mittelständischen und großen Unternehmen hat er diese bei der effizienten Gestaltung des Weiterbildungsumfeldes durch z.B. die Einführung von Controlling-Methoden unterstützt. Er ist Autor und Koautor zahlreicher Veröffentlichungen.


      Maryam Samiei-Rupp studierte Betriebswirtschaftslehre an der Universität zu Köln mit den Schwerpunkten Human Resources Management sowie Arbeits- und Organisationspsychologie. Von 2005 bis 2007 war sie bei Detecon International in der Competence Practice Operation and Performance mit den Schwerpunkten Organisations- und Personalentwicklung tätig. Zurzeit berät sie als HR-Partner bei T-Mobile internationale Business Partner.


      Dr. Jörg Sander
      ist Principal bei Detecon International und verantwortlich für das Beratungsportfolio Intellectual Asset Management (IAM). Nach mehreren beruflichen Stationen im Bildungsmanagement ist Dr. Sander seit 1998 als Managementberater bei Detecon International im Bereich Business Innovation tätig. Er besitzt umfangreiche internationale Beratungserfahrung aus über 30 Projekten zu Strategien für Lern- und Wissensmanagement im Unternehmen. Dr. Sander ist Autor des Buches -žMediengestütztes Bildungsmanagement-œ sowie zahlreicher Studien und Veröffentlichungen zum Lern- und Wissensmanagement sowie zum Bildungscontrolling.