Bildungsmanagement

Herausforderungen in Zeiten der Krise

Bonn, Dezember 2008 - (von Dr. Jörg Sander, Dr. Andreas Närmann, Markus Keller) In Zeiten der Krise schrumpft das Arbeitsangebot sowohl quantitativ als auch qualitativ. Gleichzeitig ändern sich Märkte, Kundenpräferenzen und Produkte rasant wie nie zuvor. Geschäftsmodelle, Wertschöpfungsketten und Organisationen werden in kürzester Zeit obsolet. Die Mitarbeiter halten mit ihrem Wissen und Können das Geschick des Unternehmens in ihren Händen. Das Bildungsmanagement hat die Aufgabe, die Mitarbeiter mit ihrem Wissen und Können strategisch zu steuern. Wie aber kann sich das Bildungsmanagement den aktuellen Herausforderungen stellen?




Krisenzeiten verschonen die Weiterbildung nicht. Hier ist die Know-how-Sicherung besonders wichtig. Fragen nach der Leistungsfähigkeit von Unternehmensführung und Belegschaft gewinnen neu an Brisanz: Welche Talente hat mein Unternehmen (im Vergleich zu meinen Wettbewerbern)? (Wie) Werden sie gefördert und auf die anstehenden Herausforderungen vorbereitet? Gelingt es, ihren Wert für das Unternehmen - und somit den Unternehmenswert insgesamt - kontinuierlich zu steigern (oder besteht das Risiko, dass ihre Talente brachliegen)?


Die Kosteneffizienz ist ein weiterer erfolgskritischer Faktor. Die Kosteneffizienz betrifft grundsätzlich alle Bildungsprozesse. Es geht aber nicht nur um Kosten, es geht um Investition. Bildung ist ein wirtschaftliches Thema. Es entsteht Druck auf das Bildungsmanagement, die Kosten der betrieblichen Weiterbildung rechtfertigen zu müssen. Denn die Unternehmensführung erwartet, dass Seminare und Trainings einen konkreten und nachweisbaren Ertrag liefern.


Investitionen in die Weiterbildung müssen sich für Unternehmen klar rechnen und in Geschäftszahlen widerspiegeln.
Erfolgskritisch ist Transparenz im Bildungsgeschehen, denn Transparenz ist Voraussetzung für eine effektive Steuerung. Das hört sich einfach an, ist es aber in der Praxis nicht.


Dedizierte Controlling-Systeme, die im Finanzbereich üblich sind, existieren im Bildungsbereich nur selten. Standardisierte Kennzahlen haben sich nicht etabliert, Vergleiche zwischen Unternehmen sind schwierig. Um die Weiterbildung "fit" für die Zukunft gestalten zu können, ist Transparenz im Sinne eines Bildungscontrollings eine grundlegende Voraussetzung.

Fit für die Zukunft


Aus veränderten Märkten resultieren zwangsläufig neue Anforderungen an das Lernen im Unternehmen. In Zukunft wird es darauf ankommen, Mitarbeiter schnell, gezielt und zum Zeitpunkt des Bedarfs in neue Aufgaben einzuarbeiten und ihr Qualifizierungsniveau dauerhaft sicher zu stellen. Lernprozesse müssen definiert und umgesetzt werden, die den aktuellen, individuellen Bedarf der Mitarbeiter exakt treffen - und das alles bei deutlich verringerten Kosten.


Das zukünftige Bildungsmanagement kann sich angesichts der bevorstehenden Herausforderungen nicht mehr darauf beschränken, Rosinen herauszupicken. Vielmehr kommt es darauf an, nach Möglichkeit bei jedem Mitarbeiter die individuellen Stärken zu fördern. Das geht nur mit einem systematischen Kompetenzmanagement, welches strategisch fundiert ist.


Strategisch fundiert bedeutet, dass dem Unternehmen zunächst einmal klar sein muss, was es überhaupt wissen und können muss. Veränderte Anforderungen relativieren die klassischen Kompetenzbereiche und erfordern die gezielte Strukturierung und Neuausrichtung der Kompetenzen. Die zentrale Frage lautet: Welche strategischen Kompetenzen werden benötigt, um Geschäftsfelder überhaupt bedienen zu können?


Erst anschließend beginnt das eigentliche Kompetenzmanagement. Die zentrale Frage lauten hier: Wo befinden sich Kompetenzlücken, um die zukünftigen Geschäftsfelder erfolgreich zu betreuen und wie können diese Lücken geschlossen werden?


Das aktive Mitwirken der Mitarbeiter am Erwerb ihrer aktuell erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten nimmt zukünftig eine Schlüsselstellung ein: Kontinuierliches Lernen mit einem Eigenbeitrag des Mitarbeiters wird zum Erfolgsfaktor einer flexiblen Beschäftigungsorganisation. Das Lernen geht dabei über die Arbeitsinhalte deutlich hinaus und zielt auch auf die interne und externe Beschäftigungsfähigkeit der Mitarbeiter ab.


Lernen wird somit für alle Beteiligten zum "Wert", für das Unternehmen wird es zum "Werttreiber". Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter werden zukünftig ihre Lernprozesse aktiver und eigenständiger wahrnehmen, als dies heute normalerweise der Fall ist. Um dies zu erreichen, müssen Sozial- und Lernkompetenz durch entsprechende Maßnahmen entwickelt werden.


Es geht um die "Lernkultur" im Unternehmen und um die Beantwortung der Frage: Wie kann die Lernkultur entwickelt werden, um ein selbst gesteuertes eigenverantwortliches Lernen zu ermöglichen?


Lernen am Arbeitsplatz, Lernen im kleinen Team oder selbst gesteuertes Lernen werden zum Normalfall. Formelles und informelles Lernen erhalten den gleichen Stellenwert. Für Programmverantwortliche und Trainingsanbieter ist ein Umdenken hinsichtlich der methodischen Gestaltungsschwerpunkte des Lernens erforderlich.


Institutionalisierte Präsenzangebote sollten z.B. nur noch dann im Lernangebot erscheinen, wenn andere methodische Gestaltungsansätze sich als ungeeignet erweisen. Die Gestaltung des "Lernort Arbeitsplatz" und anderer arbeitsplatznaher Lernorte stellt eine besondere Herausforderung dar. Hier können Kooperationen zwischen Bildungsanbieter und Betrieb dauerhafte Lösungen generieren.


Von den skizzierten Ansätzen ist es nur noch ein kleiner Schritt zum "Human Capital": Seit vielen Jahren bemühen sich Ökonomen, Psychologen und Betriebswirte um die Modellierung und Bewertung menschlicher Arbeit im unternehmerischen Wertschöpfungsprozess. Speziell das betriebliche Personal- und Rechnungswesen können mittlerweile mit einer Vielzahl von Konzepten und Tools aufwarten, welche Motivation und Kompetenz, Wissen und Wertbeitrag der Mitarbeiter unter dem Begriff "Human Capital" oder verwandten Termini subsumieren.


Für Unternehmen haben diese Ansätze zukünftig stärkere Relevanz und können nicht mehr mit einem "Achselzucken" beiseite geschoben werden. Die Beantwortung der Frage "Welches Potenzial steckt im Wissen und Können meiner Mitarbeiter und wie kann ich das bewerten und steuern?" sorgt zukünftig für Pluspunkte.


Lernarchitektur als Gestaltungsansatz



Neue Bildungskonzepte sind gefragt. Wesentliches Kennzeichen ist eine ganzheitliche Sicht auf die Bildung. Ganzheitlich bedeutet, dass pädagogische Konzepte genauso berücksichtigt werden wie wirtschaftliche Aspekte und technische Instrumente.
In einem von der Deutschen Telekom initiierten Netzwerk von Personalentwicklungsexperten wurde das Modell einer zukunftsorientierten Lernarchitektur entworfen.


Die Lernarchitektur geht über die isolierte Betrachtung einzelner Facetten der Personalentwicklung weit hinaus und gliedert die zu bewältigende Gestaltungsaufgabe in sechs Handlungsfelder, den Bausteinen der Lernarchitektur.

























"Mitarbeiter befähigen" bedeutet, die Mitarbeiter beim selbständigen und selbstgesteuertem Lernen zu unterstützen und diese Fähigkeiten mit dem Ziel zu entwickeln, die Beschäftigungsfähigkeit der Mitarbeiter zu erhalten. Karriereschritte müssen von der Teilnahme an rollenspezifischen Trainings begleitet werden.


"Führungssysteme anpassen" heißt, dass sich auch die Führungsebenen an der Entwicklung der Lernkultur aktiv beteiligen. Manager müssen ihre Mitarbeiter fördern und fordern, sowie eine Vorbildrolle in Sachen Lernen einnehmen. Kompetenz- und Skillprofile stehen für die gesamte Organisation zur Verfügung.


"Methoden weiterentwickeln" beinhaltet das Bereitstellen von modernen Lernmethoden, die neben das Präsenztraining treten. Die Auswahl der Lernmethode findet im Einzelfall an Hand von Effizienz- und Effektivitätsüberlegungen statt.


"Infrastruktur ausbauen" ist eine wichtige Voraussetzung für den vorangegangenen Punkt. Dies stellt sicher, dass die Mitarbeiter auch tatsächlich in die Lage versetzt werden zu lernen. Das kann z.B. durch die Einführung eines Lernmanagement-Systems geschehen, welches die vorhandenen Lernmethoden orts- und zeitunabhängig bereit stellt.


"Ergebnisse messen" sichert die Nachhaltigkeit der eingeleiteten Maßnahmen und dient der Einhaltung von Qualitätsstandards, der Transparenz der Ausgaben für Qualifizierung oder auch der Bereitstellung von Daten zur Bestimmung des Humankapitals.


"Lernkultur entwickeln" beschreibt das Modul, das alle vorhergehenden umschließt. Die Lernkultur manifestiert sich vor allem in der Gestaltung von Rahmenbedingungen und Unterstützungsleistungen, die das Lernen längerfristig und nachhaltig fördern sollen.


Nach Detecon Erfahrungen klaffen Wunsch und Wirklichkeit hinsichtlich der Gestaltung der einzelnen Bausteine der Lernarchitektur in den meisten Unternehmen weit auseinander: So ist die Realität häufig durch mechanistische Vorgaben oder im Gegenteil dazu durch allzu große Freizügigkeit ("Gießkannenprinzip") geprägt. Eine gesunde Mischung im Sinn eines "Learning on Demand" ist selten, obwohl dies sowohl für das Unternehmen im Hinblick auf betriebsnotwendige Kompetenzen als auch aus Sicht der Mitarbeiters im Hinblick auf die externe und interne Beschäftigungsfähigkeit wichtig wäre.


Das Spektrum der Lernmedien beschränkt sich im Wesentlichen auf klassische Präsenzseminare, obwohl eLearning, Social Software und Web 2.0 nicht erst seit gestern propagiert werden. Transparenz über das Bildungsgeschehen im Sinne eines Bildungscontrollings besteht häufig nicht wirklich, oftmals werden lediglich einfache Verfahren zur Evaluierung eingesetzt ("Happy Sheet"), Kirkpatrick ist ein Fremdwort.

Bedeutung und der Zukunft des Bildungsmanagements

Abschließend - und zur Inspiration - wollen wir sieben Empfehlungen zur Bedeutung und der Zukunft des Bildungsmanagements aufstellen, die wir im Verlauf und als Ergebnis zahlreicher Bildungsprojekte formuliert haben:

  1. Das Kapital erfolgreicher Unternehmen ist Wissen und Können: In der Wissens- und Dienstleistungsökonomie ist die mechanistische Unternehmensführung am Ende. Nur das Zusammenspiel von Leistungsträgern mit den besten Köpfen garantiert nachhaltig Innovation, Flexibilität und Effektivität. Conditio sine qua non des neuen Paradigmas ist ein professionelles Bildungsmanagement.
  2. Nichts ist wichtiger, als die besten Leute: Talente zu gewinnen, zu entwickeln und zu binden hat höchste Priorität. Je unsicherer die Verhältnisse, je schneller Produktzyklen, je unterschiedlicher die Kundenpräferenzen, desto entscheidender die Fähigkeit Visionen zu entwickeln, Teams zu führen und Strategien erfolgreich umzusetzen. Wer bei der Qualität des Nachwuchses spart, begeht einen unverzeihlichen Fehler.
  3. Die Unternehmenskultur muss Teil der Vision werden: Weil als weich verschrien und nur schwer steuerbar, haben viele Unternehmen kulturelle Aspekte sträflich vernachlässigt. Nichts aber ist dem Erfolg zuträglicher wie klar definierte Ziele, gemeinsame Werte und ein inspirierendes Miteinander. Nicht grundlos schwören Talentschmieden und Innovationsführer auf informelle zielgerichtete Interaktion. Das betrifft insbesondere auch die Lernkultur.
  4. Der Kapitalmarkt fordert Informationen zum Human Capital: Die traditionelle Bilanztheorie ist überholt. Analysten und Investoren wünschen sich ein erweitertes Value Reporting. Ratingagenturen, Branchenanalysten und Banken messen intangiblen Ressourcen, insbesondere dem Humankapital wachsende strategische Bedeutung zu. Informell wird kräftig recherchiert. Auch erste Standards für das Berichtswesen wurden bereits verabschiedet.
  5. Transparenz ist Grundvoraussetzung: Grundsatz der Steuerung der Weiterbildung ist der Investitionsgedanke: Es wird in Weiterbildung investiert, wo Bedarf besteht. Bei der Bedarfsermittlung wird differenziert zwischen strategischem und individuellem Bedarf. Die Steuerung erfolgt anhand eines systematischen Bildungscontrollings mit finanziellen, qualitativen und quantitativen Kennzahlen.
  6. Ein Know-how Fokus verlangt ein modernes Bildungsmanagement: Ein Beziffern des Human Capital allein genügt nicht. Aufgabe moderner Unternehmensführung ist die Ausrichtung auf eine Entwicklung und damit Wertsteigerung des Human Capital. Der Katalog an strategischen Maßnahmen umfasst neben dem klassischen HR-Portfolio Netzwerke, zukunftweisende Lernarchitekturen und ein effizientes Wissens- sowie Innovationsmanagement.
  7. Chief Learning Officers sind strategische Schnittstellen im Unternehmen: Die zentrale Bedeutung eines professionellen Bildungsmanagements muss sich in der organisatorischen Verankerung zeigen. Wissens- und Servicegetriebene Unternehmen verorten diese Stabs- und Schnittstellenfunktion entscheidungsnah zwischen Human Resources, Unternehmensentwicklung und Controlling. Das Thema Wissen und Können muss regelmäßig auf die Tagesordnung.

Die Arbeit wird sich in Zukunft grundlegend wandeln. So befinden wir uns nach einer Studie des Zukunftsinstituts im tiefgreifendsten Wandel der Arbeit seit der industriellen Revolution. Selbstverantwortung, Veränderungsbereitschaft und Kreativität - dies sind die Kernanforderungen an den Arbeitnehmer von morgen.


In diesen Zeiten, in denen bereits das Ende der "Wissensgesellschaft" und der Beginn der "Kreativgesellschaft" in absehbarer Zukunft propagiert werden, ist ein systematisches Management von Wissen und Können Grundvoraussetzung für den Unternehmenserfolg. Das Know-how Unternehmen ist das Ziel.