Educause-Studie

Zunehmende Relevanz von Learning Analytics

Washington D.C., Dezember 2012 - Learning Analytics ist ein Trend, der sich inbesondere an amerikanischen Hochschulen verstärkt. Dies belegen die Ergebnisse der Educause-Studie 2012 "Analytics in Higher Education". Jacqueline Bichsel, Senior Research Analyst, beschreibt die Vorteile - denn es profitieren die Hochschulen und die Studierenden gleichermaßen. Learning Analytics bedeutet aber nach ihren Worten auch einen kulturellen Wandel auf Entscheiderebene, weg vom Bauchgefühl hin zu Entscheidungen, die auf harten Fakten basieren.




Inwiefern können Daten zu mehr als nur für Reporting benutzt werden?

Jacqueline Bichsel: Daten liefern uns Erklärungen. Sie ermöglichen Vorhersagen und einen vertieften Einblick in komplexe Zusammenhänge, die mit vielen verschiedenen Faktoren zu tun haben - wie etwa dem Lernverhalten Studierender. Dadurch dass wir Zahlen bewerten und Wahrscheinlichkeiten errechnen, bekommen Daten einen höheren Wert als in einem schlichten Reporting. Derart veredelte Daten erlauben uns einzugreifen, Vorsichtsmaßnahmen zu treffen oder Veränderungen zu realisieren. Sie ermöglichen es uns, Entscheidungen zu treffen und Strategien zu überarbeiten.

Können Sie einige konkrete Beispiele aus dem amerikanischen Hochschulwesen nennen, wie dort beispielsweise Lernprozesse positiv beeinflusst wurden?

Jacqueline Bichsel: Forscher der Universität Wisconsin haben studentische Lösungsansätze in einem Kurs Management System und andere Informationen analysiert. Dabei fanden sie heraus, dass eine bestimmte Art von Instruktion bessere akademische Ergebnisse förderte. Das Paul Smith College hat demographische Daten und Analysen benutzt, um bereits vor Semesterbeginn Risiko-Studenten zu identifizieren und um sie frühzeitig zu unterstützen. Mit dieser Maßnahme wurde die Zahl der Studienabbrecher gesenkt und positiv Einfluss auf die Noten genommen.

Wie würden Sie sich erklären, dass Analytics in der amerikanischen Bildungslandschaft an Bedeutung gewonnen hat? Gab es dafür Vorbilder?

Jacqueline Bichsel: In der freien Wirtschaft hat die Analyse von Daten schon lange einen hohen Stellenwert. Insofern ist sie Bildungsinstitutionen weit voraus. Unternehmen nutzen riesige Datenmengen, die sie über Verbraucher gesammelt haben, um Interessen, Geschmäcker und Konsumgewohnheiten vorausschauend einzuschätzen.


Inzwischen herrscht ein regelrechter Wettbewerb unter den US-Universitäten, in dem es darum geht, Studenten zu halten oder ein attraktives Profil zu haben. In dieser Situation gewinnt Analytics an Bedeutung, um das Lernverhalten der Studierenden vorherzusagen. In dem Maße, in dem Verwaltung und Fakultäten mit Beispielen konfrontiert sind, wo durch Analytics Verweildauer, Abschlüsse, Noten und Engagement positiv beeinflusst werden, sehen sie sich veranlasst, auch auf ihrem eigenen Campus eine datenbasierte Entscheidungskultur voranzutreiben.

Wissen Sie etwas darüber, welchen Sinneswandel oder welche Fähigkeiten dies bei den Entscheidern in den Hochschulen erfordert?

Jacqueline Bichsel: Es gibt so viele Pluspunkte, die sich durch Analytics erzielen lassen, so dass sich die Einstellung dazu innerhalb der Universitäten gewandelt hat. Ich habe die Vorteile eben beschrieben - genau sie helfen die Kultur an einer Hochschule zu verändern. Weg von Entscheidungen, die aus einem Bauchgefühl entstehen hin zu Entscheidungen, die auf Daten basieren.


Um diesen Wandel zu fördern, muss man die Entscheidungsträger überzeugen, dass es erfolgversprechender ist, sich auf Daten zu stützen als auf Traditionen oder auf Intuition. Insbesondere in einem Bereich, der als strategisch wichtig erachtet wird, beispielsweise der -žstudent persistence-œ (Hartnäckigkeit, Fortdauer).

Welche wichtigen Faktoren oder Maßnahmen tragen zum Gelingen von Analytics bei?

Jacqueline Bichsel: Obwohl ungefähr 85 Prozent der Befragten in der Educause-Studie angaben, dass sie Analytics im Hochschulbereich für wichtig halten und obwohl fast alle Einrichtungen Daten sammeln, nutzt nur die Hälfte ihre Daten proaktiv oder um Voraussagen zu treffen.


Dieser reduzierte Anteil wiederum beschränkt sich auf einige wenige Anwendungen: Immatrikulationsmanagement, Finanzen und Budget sowie Lernerfolg. Nur ein Drittel nutzt Datenanalyse in Hinblick auf das Lernverhalten. Andererseits genießt das Thema doch Popularität und für die Zukunft wird ihm eine zunehmende Bedeutung zugeschrieben. Wir haben herausgefunden, dass Hochschuleinrichtungen, die erfolgreich Analyse betreiben, einen ausgeprägten Reifegrad in folgenden Bereichen haben:

  • Kultur/ Prozesse: Die Führungskräfte stehen dazu, Entscheidungen auf der Grundlage von Daten zu treffen. Es existiert eine definierter Prozess vom Ergebnis der Analyse hin zu einer strategischen Entscheidung.
  • Daten/ Reporting/ Tools: Man arbeitet mit qualitativ hochwertigen, sauberen und standardisierten Daten. Die Form der Reports unterstützt Entscheidungen. Man verfügt über die richtigen Tools und die richtige Software, um Analysen vorzunehmen.
  • Investment: Man hat einen angemessenen Etat für Daten-Analyse und entsprechende Spezialisten.
  • Expertise: Die Einrichtung verfügt über ausgebildetes Fachpersonal.
  • Führung/ Infrastruktur: Es gibt Sicherheitsrichtlinien und Vorschriften, um Daten zu schützen und den Zugriff zu regulieren. Darüber hinaus existieren genügend Kapazitäten, um große Datenmengen zu lagern und zu verarbeiten.

Was sind die klassischen Hürden oder Barrieren?

Jacqueline Bichsel: Man scheut die Kosten. Viele Institutionen denken, sie können es sich nicht leisten. Dabei ist es eher so, dass angesichts des zunehmenden Wettbewerbs Hochschulen es sich nicht leisten können, NICHT in Analytics zu investieren. Analytics ist keine Geldvernichtungsmaschine, sondern ein sinnvolles Investment. Es wird keine Fortschritte geben, solange kein Umdenken stattfindet. Das teuerste sind übrigens nicht die Tools, sondern qualifizierte Fachleute. Es gibt genügend Beispiele von Institutionen, die über begrenzte Ressourcen verfügen, aber dank Analytics strategische Verbesserungen vornehmen konnten.


Eine weitere Hürde sind Bedenken in Bezug auf die Qualität der Daten oder Angst vor Missbrauch. Und man befürchtet mangelnde Akzeptanz. Wie auch immer, Hochschulen können es sich nicht leisten, auf die perfekten Daten zu warten oder darauf, dass so gut wie alle einverstanden sind. Analytics-Programme starten mit wichtigen, aber erreichbaren Verbesserungen in definierten Bereichen. Und sie gehen in die Breite, wenn diese Anfangserfolge eine erhöhte Akzeptanz bewirken, eine erhöhte Qualität der Daten und der Infrastruktur.

In Deutschland gibt es einen ausgeprägten und rechtlich verankerten Datenschutz: Ist es bei Ihnen erlaubt, persönliche Daten aus dem Lernprozess des einzelnen zu erheben oder müssen die Betroffenen ihre Einwilligung dazu geben?

Jacqueline Bichsel: Bei uns regulieren manche Bundesgesetze wie die -žFamily Educational Rights and Privacy Act-œ die Erhebung personalisierter Daten von Studenten. Universitäten haben Richtlinien, wer überhaupt Zugang zu Analyse-Daten bekommt. Teil eines guten Analytics-Programms sollte sein, wer Zugang hat und wer Daten nutzen darf.


Möglicherweise ist man auf der sicheren Seite, wenn man - je tiefer man in den individuellen Lernprozess eintaucht - sich vorher die Zustimmung des Betroffenen einholt. Man muss unterscheiden: Sich individuelle Test-Ergebnisse näher anzuschauen ist etwas anderes als die Anzahl von Clicks in einem Kursmanagementsystem zu untersuchen. Es kommt auf den Grad der Anonymität an.

Inwiefern profitieren die Hochschulen: Sparen sie Geld, weil sie Prozesse optimieren oder gewinnen sie an Renommee, weil sie bessere Lernerfolge -žproduzieren-œ ?

Jacqueline Bichsel: Analytics kann Universitäten helfen, Studenten anhand ihrer demographischen Daten und ihres Lernverhaltens besser zu verstehen. Darauf lässt sich das Immatrikulationsmanagement abstimmen. Auch den Lernfortschritt und die Verweildauer kann man unterstützen. Aber man kann Analytivs auch benutzen, um die Nutzung seiner Ressourcen zu optimieren - etwa durch die Art der Aufgabenstellung oder die Zusammensetzung von Lerngruppen, in den Bereichen Finanzen oder Services wie IT.


Analytics kann gleichzeitig Kosten senken und die Reputation einer Universität sowie die Erfolge ihrer Studenten steigern. Die Kombination dieser Ergebnisse macht den Einsatz von Analytics zu solch einem wichtigen und allgegenwärtigen Thema in der Hochschullandschaft.