Neurobiologie

"Soziale Interkation ist für den Lernprozess unersetzbar"

Prof. Martin KorteBraunschweig, November 2013 - Die aktuelle Hirnforschung liefert beständig neue Erkenntnisse und Details zur Neurobiologie des Lernens. Ein Aspekt, der die Vorteile des eLearning hervorhebt, ist die Individualisierung des Lernens. Es ist für den Lernprozess hilfreich, so gut wie möglich auf die individuelle Entwicklung des Lernenden einzugehen. Prof. Martin Korte, Hirnforscher und Lernexperte an der Universität Braunschweig, erläutert Details.

Wo kann die Neurobiologie wertvolle Impulse für die Weiterentwicklung des Lernens geben?

Prof. Martin Korte: Die Neugierde unseres Gehirns wird durch Variation geweckt und es werden Botenstoffe wie zum Beispiel Dopamin ausgeschüttet. Methodenwechsel erleichtern das Lernen und reduzieren das Wegdriften der Aufmerksamkeit. Als Neurobiologen betonen wir zudem die Individualisierung des Lernens: Es ist für den Lernprozess hilfreich, so gut wie möglich auf die individuelle Entwicklung des Lernenden einzugehen. Computergestützte Lernformen bieten hier natürlich gute Möglichkeiten.

Wo sehen Sie den größten Handlungsbedarf?

Prof. Martin Korte: In der Lehrerausbildung in Deutschland liegt der Fokus auf Fachwissen und Didaktik. Leider wird häufig vergessen, dass Lernen nicht an der Tafel, sondern immer im Gesamtkontext des Lebens stattfindet. Die Schule wurde erfunden, weil dort Dinge unterrichtet werden, die die Kinder sonst nicht lernen würden. Das ist ein up-hill-battle, bei dem man bezüglich der Motivation der Lernenden keinesfalls naiv sein darf. Im Wesentlichen müssen deshalb Demotivationskampagnen verhindert werden – wenn eine Einschulungsfeier den Ernst des Lebens betont, der jetzt beginne, ist es mit Spaß und Freude am Lernen schon vorbei.

Welche Rolle sollten eLearning-Anwendungen im Lernprozess spielen?

Prof. Martin Korte: Wir haben soziale Gehirne, damit ist der Mensch im Lernen unersetzbar. Deshalb braucht es immer eine Kombination aus individualisiertem Lernen und Gruppenerlebnissen. Die Idee, immer mehr von Maschinen zu lernen, ist aus meiner Sicht ein falsches Idealbild. Was gut funktioniert, ist ein Einstieg von Lehrer und Schülern im persönlichen Austausch über Ziele einer Lerneinheit, die Frage, warum ein Thema wichtig ist, hilfreiche Methoden und den Bezug zum Leben der Lernenden. Das anschließende Üben kann wunderbar über eLearning-Tools laufen – angepasst an die individuelle Motivation und das persönliche Niveau des Einzelnen.

Was halten Sie von der Vernetzung von Social Media mit Lernprozessen?

Prof. Martin Korte: Social Media ist für junge Menschen ein fact-of-life, das ist ein Stück Jugendkultur, der den Ansatz, die peer group zu leben, klar bedient. Doch als Neurobiologen sagen wir: Aufpassen! Postings, auch im Kontext von Lerninhalten, verführen ständig zu Multitasking – noch dazu werden auch nicht-lernrelevante Inhalte angezeigt. Wir können aber nicht hocheffektiv mehrere Dinge gleichzeitig machen.  Menschen denken beim Multitasking äußerst fehleranfällig, denn es fehlt die kognitive Tiefe und das Gehirn bekommt Stress. Das gleiche Problem kennen wir von der mobilen Nutzung von Lerninhalten.

Wie meinen Sie das?

Prof. Martin Korte: Ich bin ein großer Freund von Lernorten als stationärem Platz für Lernprozesse. Das Gehirn stellt sich auf den Kontext "Lernen" ein, wenn es immer am selben Ort lernt. Auch Essen oder Telefonieren am Schreibtisch ist insofern kontraproduktiv. Je gewohnter die Situation für das Gehirn ist, desto leichter ruft es entsprechende Programme ab. Man könnte sagen, es schaltet auf Empfang.

Welche Faktoren müssen eLearning-Anwendungen insbesondere berücksichtigen, um neuen Erkenntnissen zum Lernen gerecht zu werden?

Prof. Martin Korte: Es ist wichtig, Lernen zum emotionalen Erlebnis zu machen. Die Abgrenzung zwischen Lernprogramm und Spielekonsole finde ich überflüssig. Emotionale Erlebnisse haben im Gehirn eine höhere Wichtung als neutrale Reize. Ich auf jeden Fall würde mich freuen, wenn ein großer Spieleanbieter auch einmal mutig tolle Lernprogramme entwickeln würde.  Ein andere Aspekt betrifft die Vernetzung von Lernenden: Vernetzte Lernteams können auch ortsunabhängig peer-group-Lernen ermöglichen. Denkbar sind aber auch Ansätze, die es Gruppen von Lernenden an einem Ort ermöglichen, gemeinsam im virtuellen Raum zu lernen. Denn: Die direkte soziale Interaktion ist für den gelungenen Lernprozess unersetzbar.

 

Prof. Dr. Martin Korte hält am 6. Februar 2014 um 10 Uhr seinen Vortrag "Die Neurobiologie des Lernens" im Rahmen des LEARNTEC Kongresses im Messe Konferenz Center.