Klartext

"Die Zukunft des Lernens: schneller, höher, weiter?"

Dr. Johannes Bruhn vom Kompetenz-Zentrum eLearning der Münchener Rückversicherungsgesellschaft AGMünchen, Dezember 2006 - Dr. Johannes Bruhn vom Kompetenz- Zentrum eLearning der Münchener Rückversicherungsgesellschaft AG, hält von Web 2.0 und Social Software wenig. Statt sich in neuen Technologie-Diskussionen zu verlieren, die für die Realität in Unternehmen nur wenig Relevanz besitzen, fordert er, erst einmal die vorhandenen Technologien konsequent zu nutzen. Ein Interview über das Problem der Medienkonkurrenz, die Schwierigkeiten mit SCORM und die Diskrepanz zwischen Anwendern und Anbietern.



Herr Bruhn, Sie reisen zur LEARNTEC mit einem Vortrag im Gepäck namens "Die Zukunft des Lernens: schneller, höher, weiter?" Klingt provokant. Was befürchten Sie?

Dr. Johannes Bruhn: Ich habe Anfang dieses Jahrtausends den Internet-Hype miterlebt. Wenn ich die Diskussionen über Web 2.0 und Social Software höre, werde ich das Gefühl nicht los, dass wir aus den Fehlern von damals nicht genug gelernt haben. Ich habe dazu zwei Thesen. Die erste lautet: Die immateriellen Kosten von neuen Technologien werden unterschätzt. Natürlich ist ein Podcast günstig zu produzieren und zu verteilen. Aber Medien stehen aus Nutzersicht immer in einem Konkurrenzverhältnis zueinander.

Bei der Medienwahl wägen Nutzer klar ab, für welche immateriellen Kosten sie welches Kommunikationsergebnis bekommen. Wie hoch ist der Aufwand, die Bedienung eines neuen Mediums zu erlernen? Was kostet es, das Medium zu organisieren, zu bedienen und zu pflegen? Wie hoch ist der Aufwand, dieses Medium neben anderen mitlaufen zu lassen? Wir bestellen ja auch keine drei Zeitungen, sondern die eine, die uns am besten passt.

Zu viele Medien, zu hoher Zeitaufwand bei zu geringem Ertrag also?

Dr. Johannes Bruhn: Vor allem im Unternehmenskontext ist die Frage, ob ich gewillt bin, ein neues Medium zu nutzen, das keinen unmittelbar sichtbaren Mehrwert gegenüber anderen Medien bietet. Warum haben Foren im Internet so einen großen Zulauf und versagen in Unternehmenskontexten? Im Internet gibt es sehr große Nutzergruppen, die sich zu eng begrenzten Themen austauschen wollen. Im Unternehmen dagegen ist die kritische Masse für Foren in der Regel nicht erreicht. Der Aufwand dort zu publizieren oder zu suchen ist viel höher als zu telefonieren oder sich zum Mittagessen zu verabreden, und daher werden sie kaum genutzt.

Wir haben bereits jetzt eine Vielzahl funktionierender Kommunikationsmedien. Jedes einzelne besitzt mindestens ein Alleinstellungsmerkmal. Bemühen wir das klassische Beispiel: SMS. Wer hätte gedacht, dass das Hin- und Herschieben von Text zur Killerapplikation von Handys und zum Verkaufsschlager bei Schülern wird? Sie können mit SMS etwas tun, was vorher nicht ging: still und leise im Unterricht oder sonst wo schwätzen. Ein Alleinstellungsmerkmal dieses Kalibers kann ich bei Social Software im Unternehmen nicht erkennen.

Schadet der Hype um Web 2.0 der eLearning-Branche?

Dr. Johannes Bruhn: Ich bin extrem skeptisch, ob diese neuen Technologien so schnell adaptiert werden, wie es allerorts proklamiert wird. Meine zweite These lautet vielmehr: Wir haben bereits extrem gute Technologien, aber wir sollten anfangen, sie auch zu nutzen. Das tun wir de facto nicht. Eine Studie von Arideon, die den Status quo von eLearning in der deutschen Versicherungswirtschaft erhoben hat, machte deutlich, dass die meisten Unternehmen ihre Lernplattformen eigentlich nicht sachgerecht einsetzen.

Was läuft schief beim Einsatz von Lernplattformen?

Dr. Johannes Bruhn: Viele Unternehmen haben sie einfach nur, um Inhalte abrufbar zu machen. Dafür ist eine Lernplattform aus meiner Sicht zu teuer. Sie hat nur dann Sinn, wenn ich das ausschöpfe, was sie als einziges Mittel gegenüber allen anderen konkurrierenden Systemen kann, nämlich SCORM-Daten zu verwalten, Metadatensuche über Programme zu ermöglichen, Lernstände für Trainer und Teilnehmer auszugeben, Lesezeichen zentral zu verwalten - überhaupt dem Lerner Möglichkeiten an die Hand zu geben, sein Lernen zentral zu organisieren, und dem Unternehmen zu ermöglichen, vernünftiges Bildungscontrolling zu betreiben.

Ich möchte ein Plädoyer dafür halten, dass wir konsequent die Nutzenpotenziale heben, die in diesen Technologien stecken, bevor wir uns wieder in neue Mediendiskussionen stürzen. Wir sollten uns fragen, wo die wirklichen Probleme liegen. Sonst haben wir immer eine Lücke zwischen den Unternehmen als Nutzern und den Anbietern, die ihre eigene Diskussion führen. Da will jeder der schnellste sein mit seinem neuen Blog und seinem neuen Wiki, das er auch noch an den Mann bringen möchte. Mein Gefühl ist: Wir haben ein Riesen-Gap zwischen Nutzer- und Anbietermarkt.

Welche Probleme sind das, die angegangen werden müssen?

Dr. Johannes Bruhn: Wir haben z.B. bei der Implementierung von SCORM 1.2. enorme Schwierigkeiten. Es ist sehr schwer und teuer, Plattformen und Programme zur Zusammenarbeit zu bewegen. SCORM 2004 wird aus meiner Sicht zu noch mehr Konfusion führen. Wozu brauchen wir SCORM 2004 mit ausgefeilten Möglichkeiten, den Content intelligent zu machen, ihm zu sagen, zeig diesen oder jenen Lerninhalt an, wenn der Nutzer in diesem und jenem Test schlecht abgeschnitten hat. Das ist alles gut und schön, aber die bestehenden Schnittstellenprobleme werden dadurch weiter zunehmen.

Weil wir und auch andere Unternehmen schlechte Erfahrungen gemacht haben mit SCORM, erarbeiten wir in der deutschen Versicherungswirtschaft eine Empfehlung, welche der SCORM-Variablen denn tatsächlich verwendet werden sollten. Im Expertenkreis eLearning der DVA klären wir derzeit, was uns eigentlich wichtig ist und wie ein WBT aufgebaut sein sollte, damit wir es ohne aufwändige Anpassungen in unsere Plattformen einbauen können. Diese Empfehlung werden wir nächstes Jahr publizieren - gerichtet an Content- und Plattformanbieter.

Sektion: "Zukunft des Lernens: Innovative Lehr- und Lernszenarien", Mittwoch 14.2.2007, 14.00 - 17.00 Uhr, Vortrag: "Die Zukunft des Lernens: schneller, höher, weiter? Erfahrungen aus der Münchener Rück"