Informelles Lernen

Web 2.0 verändert die betriebliche Weiterbildung

Wiesbaden, November 2008 - "Gerade im Bereich der betrieblichen Weiterbildung birgt Web 2.0 große Potenziale, allerdings wird formales Lernen dadurch nicht per se überflüssig", sagt Dr. Jochen Robes, Senior Consultant bei HQ Interaktive Mediensysteme GmbH in Wiesbaden. CHECK.point eLearning fragte den Experten, wie Web 2.0 das Lernen in Unternehmen verändert.




Was bedeutet Web 2.0 für das Lernen im Unternehmen?

Dr. Jochen Robes: Mit dem klassischen Bildungsmanagement, mit Präsenztrainings, eLearning, Lernplattformen etc., haben die meisten Unternehmen in den letzten Jahres ein sehr stabiles Gerüst entwickelt. Web 2.0 verändert nun die Form der Kommunikation und den Umgang mit Informationen und Wissen grundlegend. Das verunsichert erst einmal. Doch bei näherem Hinsehen bietet Web 2.0 mehr Möglichkeiten als Gefahren.

Web-2.0-Technologien wie Blogs, Wikis oder Communities können Wissensarbeit, um einmal diesen Begriff zu benutzen, auf eine Art und Weise unterstützen, die bisher schlicht nicht möglich war. Sie machen es einfacher, sich zu informieren und auf dem Laufenden zu bleiben. Informationen können schneller und zielgenauer ausgetauscht werden.

Vieles, das heute noch informell kommuniziert wird, wird durch die neuen kollaborativen Tools auf einmal sichtbar. Das betrifft auch die Kompetenzen und das Know-how der Mitarbeiter selbst. Dadurch wird der Einsatz von Web-2.0-Technologien auch die Personalentwicklung vermutlich nachhaltiger verändern, als viele es heute noch annehmen.

Und noch ein Punkt: Gerade mittelständischen Unternehmen bieten sich durch Web 2.0 enorme Chancen. Mit geringen Investitionen können sie ihre interne Kommunikationslandschaft weiterentwickeln und Kompetenzen besser vernetzen. Die meisten Jobs erfordern heute ohnehin funktionierende Netzwerke, da niemand mehr alle notwendigen Kompetenzen allein auf sich vereint.

Wie müssen Unternehmen ihre Weiterbildungsangebote umbauen, um für die Zukunft gerüstet zu sein?

Dr. Jochen Robes: Nehmen wir zum Beispiel das informelle Lernen. Informelles Lernen ist das, was wir alle täglich tun, was für Mitarbeiter in wissensbasierten Unternehmen vielleicht sogar der einzige Weg ist, auf dem sie sich weiterentwickeln. Für die klassische Weiterbildung ist es bis heute schwierig, sich auf das Informelle einzustellen. Muss hier überhaupt etwas getan werden? Oder belässt man es bei den Kaffeeküchen und einigen abteilungsübergreifenden Treffen zum Erfahrungsaustausch?

Eine Infrastruktur, die nun aktiv die neuen kollaborativen Technologien einsetzt, schafft damit automatisch weitere Möglichkeiten des informellen Lernens. Mitarbeiter sehen z.B. auf Gelben Seiten, welche Experten und Kompetenzen ihnen bei Problemen zur Verfügung stehen. Oder ein Projektleiter hält über ein Projektblog alle Teammitglieder auf dem Laufenden. Oder die Produktschulung wird durch ein Wiki ergänzt, in dem Mitarbeiter anschließend ihre Praxiserfahrungen austauschen dürfen, ihre Tipps und Tricks. Die Möglichkeiten sind hier fast grenzenlos und für alle gibt es Beispiele. Auch Expertenwissen außerhalb des Unternehmens ist auf diese Weise leichter greifbar.

Manche Unternehmen neigen dazu, die Web 2.0-Nutzung zu behindern oder umgekehrt von oben zu verordnen. Wie stehen Sie dazu?

Dr. Jochen Robes: Es gibt natürlich Unternehmen und Mitarbeiter, die der Nutzung von Web 2.0 noch sehr verhalten gegenüber stehen. Argumente, die ich immer wieder höre, betreffen zum Beispiel die zusätzliche Zeit, die man glaubt, hier investieren zu müssen. Dann wünschen sich viele Mitarbeiter klare Regelungen und Policies, die ihnen sagen, was sie mit diesen Möglichkeiten alles tun dürfen. Und andere wissen gar nicht genau, wie Web 2.0 ihnen überhaupt nutzen kann und sind deshalb reserviert.

Auf der anderen Seite ist in vielen Unternehmen Web 2.0 heute schon gelebte Praxis. Es gibt wohl keine IT-Abteilung eines Großunternehmens, in denen nicht seit Jahren mit Wikis gearbeitet wird. Und viele Mitarbeiter im Personalmarketing nutzen heute ganz selbstverständlich Community-Plattformen wie XING oder Facebook und damit automatisch viele Web 2.0-Features wie z.B. Newsreader, RSS und Alerts. Aber der "Königsweg" zu Web 2.0 ist häufig ein engagierter Mitarbeiter, der sich hier vielleicht auch privat engagiert, vielleicht selbst bloggt und die Sache vorantreibt, weil er vom Nutzen dieser Entwicklungen überzeugt ist.

Große Unternehmen wie beispielsweise IBM, Lufthansa oder Rheinmetall werden dagegen eher den organisierten Einstieg in die Web 2.0-Welt wählen. Das ist dann eine strategische Entscheidung, top-down, die das ganze Unternehmen betrifft und dieses systematisch auf den enterprise 2.0-Zug setzt. Hier wird auf integrierte Web 2.0-Suites gesetzt, wie z.B. Lotus Connections oder Clearspace.

Aber das ist nur die eine Seite. Denn top-down lässt sich zwar Software implementieren, aber nur schwer Nutzung und Teilnahme verordnen. Erst wenn Mitarbeiter für sich erkennen, dass es sinnvoller ist, ein Wiki zu nutzen als ein E-Mail zu schreiben und auf Antwort zu warten, werden sie die angebotenen Technologien tatsächlich nutzen.

Was bedeutet das für eLearning-Anbieter wie HQ? Wo sehen Sie Ihre zukünftigen Betätigungsfelder?

Dr. Jochen Robes: Mittelfristig gehen wir schon davon aus, dass sich unsere Angebote und Leistungen verändern werden, wahrscheinlich verändern müssen. Doch das wird eher ein evolutionärer Prozess sein. Es wird sicher weiterhin klassische WBTs geben. Und formale Lernangebote werden weiterhin ihren Platz im Bildungsmanagement haben, sowohl bei Produkt- und System-Einführungen als auch bei Compliance-Schulungen. Auch wird es immer Zielgruppen in Unternehmen geben, die auf einzelnen Gebieten eine Führung und Struktur benötigen, die "user-generated content" nicht bieten kann.

Aber natürlich sehen wir bei HQ vor allem die mit der Entwicklung von Web 2.0 verbundenen Chancen. Deshalb sprechen wir z.B. aktiv unsere Kunden an, um sie über aktuellen Entwicklungen in diesem Bereich zu informieren. Das tun wir sowohl in kurzen Präsentationen als auch in längeren Workshops und Seminaren, ganz nach Aufgabenstellung. Auch in unseren Konzepten verbinden wir, wo immer es passt und gewünscht wird, formale Lernformen mit offenen Angeboten, wie z.B. einem Themenportal oder einer Learning Community. Als "Maßschneider für Lernstoffe" erarbeiten wir mit unseren Kunden den roten Faden für den jeweiligen Kontext quer durch alle Themen, Medien, Tools und Inhalte.

Dabei, und das gehört beim Thema Web 2.0 fast zwangsläufig dazu, sprechen wir nicht nur mit der Personalentwicklung, sondern auch mit IT-Abteilungen oder der internen Kommunikation, um bei der Einführung oder dem Ausbau von Web 2.0-Aktivitäten zu unterstützen. Hier verstehen wir uns auch oft als Katalysator zwischen den Abteilungen. Denn eine Sache ist sicher: Web 2.0 ist kein Hype und wird nicht verschwinden, sondern morgen fest zu unserem Alltag gehören. Darauf möchten wir uns und unsere Kunden vorbereiten.