Elektronische Lernwelten

Von der Lernpsychologie zum eLearning

Berlin, März 2009 - (von Dr. Birgit Gaiser) Prof. Dr. Ludwig J. Issing forschte zuletzt an der FU Berlin im Bereich Medienpsychologie und Medienpädagogik bis er vor einem Jahr emeritiert wurde. Das Thema "Programmiertes Lernen" - wie eLearning in seinen Anfängen hieß - begleitete ihn rund 40 Jahre seines Berufslebens. Das Lehrbuch "Online-Lernen - Handbuch für Wissenschaft und Praxis" ist die jüngste Veröffentlichung des Alt-Meisters.




Herr Issing, Sie haben sich bereits in den frühen Phasen des eLearning intensiv mit dem Phänomen befasst. Gab es einen Auslöser für Ihr Interesse? Wie sind Sie persönlich zum Thema eLearning gekommen?

Prof. Dr. Ludwig J. Issing: Die Geschichte begann bei mir schon vor über 40 Jahren. Ich hatte das Glück in den USA an der Universität Rochester studieren zu können, zumindest den zweiten Teil meines Psychologie-Studiums. Dort bin ich intensiv mit dem operanten Konditionieren, also der Kernmethode der Behavioristischen Psychologie von B.F. Skinner bekannt gemacht worden und habe Herrn Skinner auch noch persönlich kennen gelernt.


Ich war begeistert von seiner Lernpsychologie und habe mich intensiv in das Programmierte Lernen und das Lernen mit damaligen elektro-mechanischen Lehrmaschinen eingearbeitet. Mein Interesse hat mich dann über die Jahrzehnte zur Unterrichtstechnologie und zum Online-Lernen geführt.

Wenn Sie zurück blicken, welches waren die Herausforderungen der ersten Stunde in Hinblick auf die Entwicklung und Einführung von eLearning an deutschen Schulen und Hochschulen?

Prof. Dr. Ludwig J. Issing: Die ersten Entwicklungen der Bildungstechnologie in Deutschland begannen mit dem Unterrichtsfilm und dem Wissenschaftlichen Film, mit dem Schulfunk und dem Schul- bzw. Studienfernsehen. Das ZDF hat in den 70er Jahren sogar ein "Universitätsfernsehen" geplant. Allen diesen Medien fehlte aber die Interaktivität - sie waren reine Präsentationsmedien, so dass man ergänzendes Arbeitsmaterial bereit stellte, um nachhaltiges Lernen zu erreichen.


Das "Programmierte Bildungsfernsehen", war ein Versuch, das Präsentationsmedium Fernsehen durch die systematische Integration von Fragen und Aufgaben in die Sendungen interaktiv zu machen. Mit der Weiterentwicklung von Computern kamen neue interaktive Technologien. Ich erinnere an Videotext und Bildschirmtext (Btx). Btx wurde in den 80er Jahren an vielen Hochschulen intensiv genutzt für interaktive Verwaltungsaufgaben und für die effiziente Gestaltung von Lernangeboten.


In den 90er Jahren kam der Durchbruch zum interaktiven Lernen in großem Umfang mit der Verfügbarkeit des PCs und des Internet. Heute im neuen Jahrtausend verfügen alle Hochschulen über Computerzentren, Zentren für digitales Lernen. Und praktisch alle Studierende besitzen einen PC oder Laptop. So hat die Entwicklung der Computertechnologie in Schule, Hochschule und Weiterbildung völlig neue elektronische Lernwelten geschaffen, von denen man vor 40 Jahren nicht einmal hätte träumen können.

Wie schätzen Sie die Entwicklung der für eLearning erforderlichen Medienkompetenzen über den Verlauf der letzten 15 Jahre ein? Inwieweit gab es eine Veränderung der Anforderungen? Wie beurteilen Sie die Unterstützung, die Hochschulen den Lehrenden in Sachen eLearning bieten?

Prof. Dr. Ludwig J. Issing: Die Anforderungen an Medienkompetenz und Computerkompetenz haben sich in den letzten Jahrzehnten natürlich gewaltig erweitert. Im Schulbereich wurden mehrere große Programme zur Förderung der Medienkompetenz durchgeführt. Diese betrafen in erster Linie die kompetente Nutzung von PCs und Laptops im Unterricht durch Lehrer und Schüler.


Im Hochschulbereich dagegen gab es Angebote zur Förderung von Computer- und Internetkompetenz in erster Linie für die Dozenten, während die Studierenden in der Mehrheit bereits über eine hohe Computer- und Internetkompetenz verfügten und verfügen. Außer wenigen early users konnten die Hochschullehrer nur langsam zur Nutzung des PCs und des Internet in ihren Lehrveranstaltungen bewogen werden, während die Nutzung von eMail zur Kommunikation und die Nutzung des Internet zur Vorbereitung der Lehre nicht mehr aus der Hochschule wegzudenken ist. In den Lehrveranstaltungen hat sich das so genannte "Blended Learning" als Ergänzung traditioneller Lehr- und Lernformen durchgesetzt.


Komplette eLearning-Kurse werden dagegen relativ selten angeboten, was wohl auch dem Wunsch der Studierenden nach direktem Kontakt mit den Dozenten und Kommilitonen entspricht.

In frühen Phasen des eLearning ging es stark um die Inhaltsentwicklung, dann folgte die Ära der Lernmanagementsysteme. Im Moment wird Web 2.0 auch im Zusammenhang mit eLearning propagiert. Können Lehrende da überhaupt noch mithalten?

Prof. Dr. Ludwig J. Issing: Das ist eine große technische, organisatorische und didaktische Herausforderung - insbesondere für die älteren Hochschullehrer. Wenn in ein paar Jahren eine jüngere Dozentengeneration nachgerückt ist, wird die Anwendung von Web 2.0-Technologien in den Hochschulen selbstverständlich sein.

Und, wie schaut es mit den Studierenden aus?

Prof. Dr. Ludwig J. Issing: Die Studierenden sind begeistert von der neuen Technologie. Sie gehören ja auch zur ersten digitalen Generation, die mit den neuen Medien groß geworden ist. Sie nutzen die neuen Technologien ganz ohne Vorbehalt, aber sie wollen auch nicht auf die direkte personale Kommunikation mit Lehrenden und Kommilitonen verzichten - sie wollen beides - also "Blended Learning".

Das von Ihnen und Paul Klimsa herausgegebene Lehrbuch "Information und Lernen mit Multimedia" wurde im Beltz Verlag Weinheim erstmals 1995 aufgelegt. Soeben haben Sie beide im Oldenbourg Verlag München ein neues, umfangreiches Buch mit dem Titel "Online-Lernen - Handbuch für Wissenschaft und Praxis" herausgegeben. Können Sie kurz skizzieren was sich an Konzeption und Inhalten gegenüber Ihren früheren Büchern verändert hat?

Prof. Dr. Ludwig J. Issing: Die erste und zweite Auflage des Lehrbuchs mit dem Titel "Information und Lernen mit Multimedia" konzentrierte sich auf die wissenschaftlichen Grundlagen, die Entwicklung und die Anwendung von ISDN, CD-ROM, Hypermedia und Virtueller Realität unter mediendidaktischen Aspekten.


In der dritten Auflage mit dem Titel "Information und Lernen mit Multimedia und Internet", kamen die enormen Nutzungsmöglichkeiten des Laptops und des World Wide Web für die Realisierung von eLearning hinzu.


Unser neues Lehrbuch "Online-Lernen" geht von den bisherigen Ansätzen des Lernens mit Offline-Medien aus, konzentriert sich aber auf die Werkzeuge, das didaktische Design, die Entwicklung, die Organisation, die Evaluation und die Anwendung von Online-Lern-Angeboten in der vielfältigen Bildungspraxis. D.h. der Schwerpunkt des Buches liegt bei Lernarrangements direkt in Verbindung mit dem Internet und bei der Nutzung der neuen Web 2.0-Technologien.


Diese Themen werden in 41 Einzelbeiträgen von insgesamt 66 Autoren aus Wissenschaft und Praxis behandelt... Wir freuen uns, wenn dieses Buch sowohl in der Hochschullehre wie auch in der Bildungspraxis nachhaltige Orientierung und Unterstützung bietet.