Zukunft des Lernens

Pervasive Computing: Lernen durch Anfassen

Linz, April 2008 - (von Prem Lata Gupta) Gute Technologie ist nicht als Technologie spürbar. Dies ist das Credo von Alois Ferscha, Professor für Pervasive Computing an der Universität von Linz. Er plädiert dafür, intelligente Systeme so einzubetten, dass ihre Existenz vom Nutzer nicht mehr bewusst wahrgenommen wird. Doch wenn nicht die Komplexität der Systeme, sondern die Aufmerksamkeit des Menschen der Maßstab sein soll - was bedeutet dieser Ansatz für das Lernen von morgen?




Erst haben die Menschen mit dem Buch gelernt, dann multimedial mit Hilfe von digitaler Technik. Wie sieht der nächste Schritt aus?

Prof. Alois Ferscha: Die gegenwärtigen Moden des eLearning in der universitäten Ausbildung sind weitgehend durch neue technologische Entwicklungen getragen: Im Bereich des Content Creation (eLearning Authority Systeme), des Content Delivery (Plattformen) oder des Zugriffs ("Access") auf Wissensinhalte (Online-Learning, Web-Learning, Micro-Learning).


Neben den rein technischen Möglichkeiten der neuen Medien spielen auch Paradigmenwechsel im Bereich des Lehrens und Lernens selbst eine zentrale Rolle. Ein entsprechender Meinungsbildungs- und Gestaltungsprozess konnte über die letzten Jahre beobachtet werden.


Wichtige Stichworte sind hier Wireless Campus, Notebook-Universität oder Mobile Learning. Auch die Reform der Curricula, die Einführung modularisierter Studiengänge weisen in diese Richtung. Die Frage der Innovation im Lernprozess selbst bleibt bei vielen dieser meist technologiegetriebenen Entwicklungen allerdings bis heute offen. Jetzt muss endlich der Lernprozess innoviert, nicht nur Technologie bereitgestellt werden.

Welche neuen zusätzlichen Potenziale erschließen sich durch den Ansatz von Pervasive Computing bei Lernen oder Wissenserwerb?

Prof. Alois Ferscha: Sicherlich das Potenzial des "Lernens durch Erleben". Pervasive Computing hat den Anspruch, nicht virtuelle Welten zu erfinden, sondern die reale Welt zu verbessern. Technologie wird gegenständlich, be-greifbar, erlebbar ("Tangible Interfaces"). Pervasive Computing organisiert Technologie so, dass sie Erfahrungs- und Erkennenserlebnisse in der realen Welt ermöglicht.


Lernen kann dann so inszeniert werden, dass nicht in einem Buch geblättert oder auf einem Bildschirm gelesen, sondern angefasst, gedrückt, gedreht, geschaltet, bewegt und verschoben wird. Nicht alle Inhalte eignen sich für diese Art von Lernen, aber manche eben mehr als konventionelle Lernmittel.

Inwiefern glauben Sie, dass durch noch modernere, weniger spürbare Technik die (Schwellen-)Angst vor unbekannter Technologie - oder auch dem Lernen selbst - sinkt?

Prof. Alois Ferscha: Mit der Miniaturisierung und der scheint's unsichtbaren Integration von Technologie in Gebrauchsgegenstände, Werkzeuge, Räume, Möbel und Kleidung wird auch die Gegenständlichkeit von Technologie, die Wahrnehmung von Technologie verschwinden. Technologie wird "überall" sein, man wird sie nicht sehen. Man kann dann das 3. Newton'sche Axiom "erlebend" lernen.

Computer-Visionär Don Norman will auch eine einfachere Technologie. Aber nicht durch hochkomplexe Systeme, die im Hintergrund laufen, sondern durch Geräte, die nur eine Sache können statt fünf...

Prof. Alois Ferscha: Da wird Norman missverstanden. Er will nicht eine einfachere Technologie, sondern eine adäquate Technologie, die dazu noch einfach zu bedienen ist. Lernsysteme müssen demnach nicht ein Textverarbeitungssystem, Photoapparat, Videoarchiv, Spielekonsole und Telefon in einem Gerät sein. Sondern für Lernerfordernisse, die nur die Auseinandersetzung mit gedrucktem Text umfassen, Spezialsysteme anbieten, in denen man eine Seite sehen und gegebenenfalls umblättern kann.

Wenn durch Augenzwinkern Gedanken materialisiert werden, so die Zukunftsmusik jüngst auf der CeBIT oder MP3-Player durch fünf Handbewegungen gesteuert werden können, was bedeutet dies für innovatives Lernen? Alles simplifiziert, alles als "Ad-hoc-Häppchen"?

Prof. Alois Ferscha: Was Sie als "Ad-hoc-Häppchen" verniedlichend darstellend, ist in den Lerntheorien eine anerkannte Lernmethode: Micro-Learning, kleine Lern-Häppchen, die umso tiefgründiger engrammiert werden, je treffender der Zeitpunkt gewählt wird, zu dem der Lerner sich mit dem Wissensinhalt konfrontiert. Und ergeben nicht viele Häppchen ein solides großes Ganzes?

Heute muss man Kinder fast zwingen zu lernen. Studenten plagiieren ohne schlechtes Gewissen. Wird der traditionelle Wissenserwerb durch Anstrengung künftig von völlig neuartigen Technologien abgelöst?

Prof. Alois Ferscha: Lernen ist harte Arbeit. Daran wird keine Technologie der Welt etwas ändern. Aber der Lohn ist unermesslich: "Wissen und Können".