Elliot Masie: Keynote-Speaker der LEARNTEC 2023
Karlsruhe, Mai 2023 - Elliott Masie ist eLearning-Vorreiter, Broadway-Produzent und ein international anerkannter Zukunftsforscher. Der US-Amerikaner wird auf der diesjährigen Jubiläumsausgabe der LEARNTEC als Keynote-Speaker auftreten, zudem fungiert er als Schirmherr des englischsprachigen Kongress-Strangs. Im Gespräch verrät er, welches Potenzial er in KI-Chatbots sieht, wie sich das Lernen in den letzten 30 Jahren verändert hat und warum Mark Zuckerberg für das Metaverse ein Problem ist.
ChatGPT ist in aller Munde. Was finden Sie am interessantesten an dem Hype um KI-Chatbots?
Elliot Masie: Ich finde daran interessant, dass die Technik hinter der KI eigentlich nicht neu ist, sondern eher der Blick darauf in der öffentlichen Wahrnehmung. Egal, ob Google oder das chinesische Baidu, alle Suchmaschinen arbeiten mit KI. Aber ChatGPT hat die enormen Möglichkeiten von KI öffentlich sichtbar gemacht und bietet den Menschen eine verlockende und faszinierende Technologie. Dabei befinden wir uns erst im fünften Lebensjahr der Technologie. Wir reden also nicht einmal von einem Teenager. Umso erstaunlicher ist das Potenzial, das jetzt schon sichtbar wird.
Sehr spannend finde ich auch, dass wir von dem Frage-Antwort-Prinzip zu einem viel persönlicheren Dialog mit Suchmaschinen übergegangen sind. Früher habe ich Google aufgerufen und gesagt: "Gib mir Informationen zu diesem Thema". Google hat mir dann einen kleinen Absatz angezeigt. Mit diesen Informationen konnte ich dann weitersuchen. Jetzt kann ich sagen: "Erzähl mir mehr. Übersetze mir die Informationen ins Deutsche. Zeig mir ein dazugehöriges Bild." Unsere Interaktion mit Suchmaschinen wird also zu einem persönlichen Gespräch.
Die LEARNTEC gibt es seit 1992, gerade feiert sie ihr 30-jähriges Jubiläum. Sie sind auch schon seit den 1990er Jahren als Experte tätig. Welche Entwicklung hat Sie seitdem am meisten überrascht?
Elliot Masie: Lernräume glichen lange Gotteshäusern, mit starren Lehrplänen und strenger Kontrolle von oben. Das hat sich sehr geändert. Ich erinnere mich noch daran, dass ich in den 1990ern für ein Schulungsprogramm mit einem großen Softwareunternehmen zusammengearbeitet habe. Das Lehrbuch hatte hunderte Seiten und sie gingen es 14 Tage lang Seite für Seite durch. Heute schult das Unternehmen seine Mitarbeitenden, indem sie Projekte bekommen, die zur Teamarbeit einladen. Die Lehrmaterialien sind interaktiv. Die Lernenden und ihre Lerngewohnheiten haben sich verändert und sind diverser geworden. Jetzt geht es nicht mehr um die Entwicklung von Lehrplänen oder die Wahl der Lernplattform, sondern vor allem darum, wie wir Technologien und Lernstrategien flexibler und individualisierter einsetzen können, um allen kurze, zielgerichtete Lernangebote zu machen.
Ein weiteres Thema auf der LEARNTEC ist das Metaverse. Der aktuelle mmb-Trendreport hat ermittelt, dass das Metaverse aktuell noch keinen Stellenwert bei deutschen Unternehmen hat. Wie stehen Sie zum Metaverse?
Elliot Masie: Es ist weise von den Deutschen, nicht allzu sehr auf das Metaverse zu bauen (lacht). Ich habe drei Probleme mit dem Metaverse. Erstens: Die meisten Menschen wollen bei der Arbeit nicht länger als ein paar Minuten eine VR-Brille tragen. Die nächste Version von dem, was wir Metaverse oder wie auch immer nennen, muss also ohne Brille auskommen, wenn es erfolgreich sein soll. Ich könnte mir gut vorstellen, dass holografische Projektionen oder Ähnliches die Brillen irgendwann ablösen. Das zweite Problem: Mark Zuckerberg. Er prägt das Metaversum stärker als jeder andere, er hat Facebook in Meta umbenannt. Das ist aus meiner Sicht ein Problem, da sich viele Unternehmen nicht an seine Marke und sein Ego in binden wollen. Das dritte Problem: Das Metaverse hat die Vorstellungskraft der Jüngsten nicht erobert. Die interessieren sich momentan eher für TikTok oder Instagram. Ohne die jüngeren Generationen hat Technologie aber keine Chance auf Erfolg. Ich denke, dass es irgendwann eine Art Metaversum geben wird, das aber nicht so genannt wird, in dem wir unsere Bildschirme und Smartphones dreidimensionaler nutzen.
Wie würden Sie den aktuellen Stand des eLearnings in Deutschland bewerten?
Elliot Masie: Deutsche Unternehmen wenden eLearning sehr strukturiert an. Auf einer Konferenz erzählte mir der Personalleiter eines deutschen Automobilherstellers, dass sie die Arbeitskräfte vor Ort mit einer Kombination aus eLearning, VR und analogen Materialien schulen. Das hat mich beeindruckt. ELearning wird in Deutschland vor allem in der beruflichen Bildung eingesetzt und weniger in der Schule, das ist in den USA anders. Ich würde auch sagen, dass die Universitäten in Deutschland gute Arbeit bei der Einführung und dem Ausbau von eLearning geleistet haben. Jetzt wird es interessant sein zu sehen, ob sie sich auch einen Schritt weiter wagen und Dinge wie Augmented Reality-Simulationen stärker integrieren.
Glauben Sie, dass die Menschen heute anders lernen als früher?
Elliot Masie: Mit Sicherheit. Neue Technologien, die Pandemie, wirtschaftliche Unsicherheit und Karriereplanung: Wahrscheinlich hat das alles zusammen dazu geführt, dass viele Menschen jetzt viel schneller lernen wollen, was sie wirklich wissen müssen. Sie möchten nichts lernen, was sie aktuell nicht brauchen, sondern wollen lieber wissen, wo sie solche Inhalte bei Bedarf nachlesen oder sich ansehen können. Sie wollen mehr Austausch und Zusammenarbeit und sie möchten den Lernprozess mitgestalten.
Kürzlich schrieb mir zum Beispiel jemand aus einem deutschen Fertigungsunternehmen: Wir wollen sicherstellen, dass unsere Mitarbeitenden jeden Tag etwas lernen können. Das ist viel zeitgemäßer. Früher lernte man nur zu Beginn seiner Karriere etwas Neues, oder vielleicht einmal im Jahr. Auch beim Einsatz von KI werden wir interessante Veränderungen erleben. Momentan gibt es noch Unternehmen und Schulen, die den Einsatz von KI strikt ablehnen. Aber das ist wie damals, als Schulen Taschenrechner verbieten wollten. Es wird nicht funktionieren, weil zu viele Menschen KI nutzen werden.
Wie sieht die Zukunft des Lernens aus? Worüber würden wir in einem Interview in 30 Jahren sprechen?
Elliot Masie: Ich glaube, wir würden im Vorfeld dieses Interviews zum Beispiel wissen, was der andere gut kann und welche Interessen unser Gegenüber hat. Ich stelle es mir so vor, dass wir uns auf einen Klick ein umfangreiches Bild von Personen machen können, mit denen wir zu tun haben. Wir werden neue Möglichkeiten haben, um herauszufinden, welche besonderen Kompetenzen jemand hat und wer uns wie unterstützen kann, unsere Fähigkeiten auszubauen.
Zudem – das ist etwas kontroverser – glaube ich nicht, dass wir dann noch so viele Dinge auswendig lernen werden. Schon heute tippe ich einfach in mein GPS-System, wohin ich gehen will. Ich glaube, wir werden zukünftig noch besser darin sein, uns zum Wissen zu navigieren, anstatt dieses Wissen auswendig lernen zu müssen. Drittens könnte ich mir vorstellen, dass wir Lernen nicht mehr so nennen werden. Neue Kompetenzen werden sich aus dem Zusammenspiel von Wissen, Darstellungen, Übungen und Zusammenarbeit entwickeln, aber es wird sich nicht wie Lernen anfühlen – so ähnlich, wie ich heute zum Beispiel nicht von "Lernen" spreche, wenn ich etwas Interessantes im Fernsehen gesehen habe. Trotzdem wird Lernen immer da sein, auch wenn wir es in 30 Jahren vielleicht anders nennen und strukturieren.
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