Bei Arbeitsverdichtung

Weckt die Neugier und verspricht Spaß und Abwechslung

München, Oktober 2022 - Microlearning zählt zu den jüngsten Trends in der Weiterbildung. Die Lerneinheiten sind klein. So viel ist sicher. In der Regel sind sie digital aufbereitet. Letzteres ist zwar kein Muss, jedoch typisch: Eine Lern-App mit einer bunten Mischung aus Spielen, Quizzen und Videos trifft das, was sich viele unter Microlearning vorstellen, ziemlich gut. Wer beim Wort "Lernen" bereits zusammenzuckt und sich stures Pauken am Schreibtisch vorstellt, findet mit Microlearning eine Alternative: Lernen per Smartphone oder PC weckt die Neugier und verspricht Spaß und Abwechslung.

"Muss denn jetzt alles klein und verspielt sein", mag manche/r Leser*in denken. Doch die Begeisterung für das Microlearning hat greifbare Ursachen: In Zeiten extremer Arbeitsverdichtung haben klassische Drei-Tage-Seminare fast keine Chance mehr. Sie passen einfach nicht mehr in den Alltag. Lernangebote müssen kürzer sein, damit sie sich in den Tagesablauf von Lernenden integrieren.

Zudem standen die umfangreichen Lernangebote immer schon im Verdacht, wenig zu bewirken. Der berühmt-berüchtigte Praxis-Transfer ist ein heikles Thema. Kaum einer kann genau sagen, wie viel tatsächlich im Alltag ankommt. Auch hier verspricht Microlearning neue Chancen.

Nachhaltiges Lernen braucht Konzentration und Aufmerksamkeit. Man muss kein Lernforscher sein, um das zu wissen. Wie lange ein Lernender diese konzentrierte Aufmerksamkeit aufrecht erhalten kann, hängt von vielen Faktoren ab: von seiner Motivation, von der Ablenkung, von seiner Tagesverfassung und anderem mehr. Die beiden Lern-Experten Hofmann und Löhle sprechen von 30 Minuten als einer in der Praxis erprobten Obergrenze.

Für erfolgversprechendes Lernen ist zudem der Begriff der "Inferenz" bedeutsam: Alles neu Erlernte wandert zunächst in das Arbeitsgedächtnis. Von dort wird es in das Langzeitgedächtnis überführt - wenn alles gut läuft.

Wenn das soeben Erlernte allerdings von anderen Reizen überlagert wird, ist es verloren und im Langzeitgedächtnis kommt nichts mehr an. Nach Hofmann und Löhle wird die Inferenz gestärkt von

  • großen Mengen an Informationen

  • Ähnlichkeit der Informationen

  • Gleichzeitigkeit von Informationen

Wenn sich ein Lernender mit großen Mengen Englisch- und Französisch-Vokabeln gleichzeitig plagt und sich außerdem von YouTube berieseln lässt, hat das Langzeitgedächtnis praktisch keine Chance.

Doch nicht nur Schüler müssen einen Umgang mit der Inferenz finden. Eine Fülle von Eindrücken bei gleichzeitiger Zeitnot ist das, was den Arbeitsalltag heute in den meisten Unternehmen prägt: Wenn ein Meeting das nächste jagt, zwischendurch noch eine lange Liste an E⁠eMails abgearbeitet werden muss und vielleicht auch noch ein schwieriges Gespräch am Nachmittag ansteht - dann hat das nachhaltiges Lernen einen schweren Stand. Ob Mikro oder Makro spielt dabei keine Rolle.

Nicht ohne Grund gehen die Befürworter des Microlearnings von anderen Lernsituationen aus. In ihrem Weltbild lernen die Mitarbeiter in der Kaffeepause oder auf dem Weg zur Arbeit in der Bahn. Wer ohnehin nichts anderes zu tun hat, kann ebenso gut eine Lerneinheit einlegen - so die Vorstellung.

Das Ideal-Szenario für das Microlearning sieht in etwa so aus: Der Lernende nimmt sich eine kurze Auszeit. Der Kaffee-Becher steht bereit. Er hat kaum das Gefühl, zu lernen. Eigentlich ist es mehr ein Spielen. Die Lerneinheiten sind so kurz und die Inhalte so überschaubar, dass Störgefühle und Abwehr gar nicht erst aufkommen. Es ist mehr ein Ausflug in ein spannendes und bisher unbekanntes Wissens-Gebiet. Auch deshalb sind Spiele, Quizze und Wettbewerbe bevorzugte Formate.

Das Szenario ist weniger utopisch als es zunächst scheint. So lange einfache Informationen vermittelt werden sollen, wie etwa die Features eines neuen Produkts, kann das gut funktionieren.

Demgegenüber sind komplexe Zusammenhänge schon schwieriger aufzubereiten. Für ein Microlearning müssen sie sorgfältig in kleine Lerneinheiten zerlegt werden - was möglich ist, jedoch viel Aufwand bedeutet. Zugleich ist es wichtig, die Personalentwicklungsziele des Unternehmens im Blick zu behalten und sich nicht zu zerfasern.